Von der Liebe, linken Händen und der Angst vor leeren Einkaufskörben
Zimmer oder anderswo. Ja, das ist bitter, schluckt es zusammen mit dieser gezuckertenSchokolade hinunter, versucht gegen den Gestank der Schaffelle anzukämpfen, die im Heizkessel glühen.
Den Zweiflern sei gesagt, diesen Satz habe ich nicht Pascal gestohlen, ich schwöre es bei den Schafsköpfen von Edinburgh. Ich habe ihn mir selbst gestohlen, was kein Verbrechen ist, soweit ich weiß.
Habt ihr nie darüber nachgedacht? Über die Tatsache, meine ich, dass wir unsere Gefühle (Emotionen/ Empfindungen/Gemütszustände) niemals gleichzeitig, sondern immer nacheinander aus uns herauslassen? Beispiele: Wut und Besonnenheit, Vorwurf und Toleranz, Mittelmäßigkeit und Seelengröße, Mordgedanken und Milde, dabei lasse ich es bewenden, sonst kommen wir nie zum Ende. Solltet ihr schon mal jemandem begegnet sein, der in der Lage ist, ein einziges dieser Gefühlspaare gleichzeitig zu äußern, dann bringt ihn freiwillig oder mit Gewalt auf dieses Schiff. Meine Schwester lasst in Ruhe, ich weiß sehr wohl, dass sie in der Lage ist, sieben bis acht einander widersprechende Empfindungen in einem Atemzug rauszuhauen, was sie in ihrer Handlungsfähigkeit zuweilen etwas blockiert. Sie ist ein Fall für sich, sie ist eine große Künstlerin, lasst sie um Himmels willen in Ruhe: Wenn es auf dieser Erde nur Leute wie meineSchwester gäbe, hätten wir garantiert nicht diese verdammten Kriegsprobleme auf dem Hals. Gleiches würde ich von mir nicht sagen, stellt euch vor. Ihr seht, wie hellsichtig ich bin (dieses Werk richtet sich ja ebenso an mich wie an euch), denn ich habe eine Neigung zur Impulsivität, die aus den tiefsten Tiefen meiner Kindheit herrührt, aus dem Umstand nämlich, dass ich mit zehn Minuten Verzögerung geboren wurde, ich werde nun spätestens am Sonntag meiner Mutter ein ruhiges und gehaltvolles Wörtchen dazu sagen. Doch vorher nicht, wir sind nicht hier, um über mich oder meine Familie zu reden, das könnt ihr euch wohl denken. Also, was meine Schwester betrifft, dreht euren Stift siebenmal in eurer Federtasche herum. Und mein Bruder, der auch so ein spezieller Dampfkessel ist mit einem ganz eigenen Genie, ist natürlich in der Lage, gleichzeitig, jedoch dermaßen schnell seine Gefühle herauszulassen, dass keiner in der Eile mitkriegt, um welche es sich eigentlich handelt. Lasst meinen Bruder in Ruhe, mischt euch nicht in meine Familienangelegenheiten, ihr seid mir viel zu neugierig, das macht mir Angst.
Ausgenommen diese beiden ungewöhnlichen Fälle, werdet ihr keinen Menschen finden, der idealerweise zwei Empfindungen gleichzeitig zum Ausdruck bringenkann, was heißt, dass sie sich auch gleichzeitig als solche erschließen. Ihr werdet mir keinen Kerl finden, der, im Begriff, seinem Kumpel den Schädel einzuschlagen, fähig wäre, gleichzeitig zu bedenken, was er tut. Ihr werdet mir keine Frau finden, die, im Begriff, an einem Ultimatum zu feilen, fähig wäre, gleichzeitig den FW des geliebten Wesens zu verstehen. Ihr werdet mir keinen Soldaten finden, der im selben Moment , wo er abdrückt, fähig wäre, sich die Folgen seines Schusses vorzustellen ‒ ich habe die Augen des Mannes gesehen genau in dem Augenblick, bevor er starb, ein grässlicher Alptraum Tag und Nacht, der einen bis ans Lebensende nicht mehr verlassen wird. Aber ich werfe auf niemanden das Gewehr, denn wir haben noch nicht Samstag. Das konntet ihr nicht wissen.
Demgegenüber sind wir sehr gut darin, unsere Empfindungen nacheinander zum Ausdruck zu bringen: das geliebte Wesen zu beschimpfen und ihm hinterher Napfschnecken zu schenken; einen Feind zu töten und hinterher am Leben zu verzweifeln; einen Brief abzuschicken und ihn tags darauf heftig zu bedauern. (Mein Vater pflegte immer zu sagen: »Verschieb die Post lieber auf morgen, die du heute willst besorgen«, und ich bin mit diesem Rat immer gut gefahren, der mir eine Menge Fehler erspart hat.) Fürdas Nacheinander, ja, dafür sind wir echt begabt. So dass die Verkettung unserer gegensätzlichen Handlungen sich beliebig lange fortsetzen ließe, was unterm Mikroskop sehr genau zu erkennen ist: seinen Brief heftig bereuen und danach einen neuen schicken; Napfschnecken schenken und danach das geliebte Wesen aufs Neue beschimpfen; Tränen weinen über den getöteten Feind und danach erneut in den Krieg ziehen. Ich denke, ihr könnt mir ohne größere Mühe folgen. Wer hier nie gesündigt hat, hebe das Ruder. Sündigen meine ich natürlich rein moralisch. Ach, allmählich bin ich es
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