Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Von der Liebe verschlungen

Von der Liebe verschlungen

Titel: Von der Liebe verschlungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Delilah S. Dawson
Vom Netzwerk:
hereinzubitten.
***
    Die Bremsen des Zuges kreischten, und ich erwachte mit einem Ruck. Wir wurden langsamer. Das bedeutete, wir waren endlich in meiner Heimat angelangt. In Sekundenschnelle war ich am Fenster und starrte hinaus auf Moskovia. Eine eisglasierte Stadt, deren juwelenförmige Türmchen sich hoch in den tiefblauen Himmel erhoben und durch die Wolken stießen. Freude wallte in mir auf, kleine Schauer, die über meine Haut liefen und die kleinen Härchen auf meinen Armen aufstellten. Ich war zu Hause. Noch war der Eispalast in weiter Ferne, aber zumindest befand ich mich in einer Stadt, die ich kannte und liebte. Einen Schritt näher an meinem Ziel.
    Ich ging in das winzige Badezimmer, um mich frisch zu machen, und bemerkte dabei ein paar Tropfen Blud auf der Badewanne. Ich spülte sie weg und fühlte mich äußerst seltsam dabei, das Kupfer kalt unter meinen Fingern. Dann war Charles von Sveden also mein Vater, und ich war wertvoller für ihn, wenn ich tot war. Der Mann, der mich aufgezogen hatte, war dahin, getötet an der Seite meiner Mutter, von Ravenna persönlich. Er hatte mich so sehr geliebt, wie es einem König gestattet war, obwohl er wahrscheinlich die Wahrheit gewusst hatte. Palastpolitik war eine merkwürdige Sache, und ich würde ganz sicher keine Bastardkinder zur Welt bringen, wenn ich Königin war. Natürlich bedeutete das, dass ich mich dann von Casper fern halten musste, auch wenn mich das schmerzte. Die Pflicht gegenüber meinem Land ging vor, und zuallererst musste ich mit Ravenna fertigwerden. Ganz gleich, wie sehr ich mich nachts nach ihm sehnte, und egal, wie sehr ich die Wärme seiner Lippen liebte – schon bald würde ich Moskovia betreten, und dann war die Zeit für Spielchen vorüber.
    Aber noch war es nicht so weit.
    Ich wuschelte mir durchs Haar und strich mein Kleid glatt, bevor ich hinausschlüpfte und die Waggons und Türen zählte, bis zu dem Abteil, das ich für Casper und Keen reserviert hatte. Bevor ich es mir wieder ausreden konnte, klopfte ich. Daraufhin öffnete sich die Tür gerade so weit, dass ich Caspers nackten Brustkorb sehen konnte.
    »Nur einen Moment«, sagte er und schlug mir die Tür vor der Nase zu.
    Kurz darauf war er zurück, diesmal angemessen gekleidet und mit leichter Röte in den Wangen. Ich musste lächeln über den warmen, trägen Hunger, den ich fühlte und den ich seiner Verlegenheit zuschrieb.
    »Brauchst du etwas?«
    »Ich … muss mit jemandem reden. Über etwas.«
    »Und ich soll wohl dieser Jemand sein?« Sein neckendes Lächeln ließ mich meinerseits erröten.
    Er hielt mir die Tür auf, und mit dem wohligen Schauer, etwas Ungehöriges zu tun, schlüpfte ich hinein. Was auch immer vornehme Bludfrauen in einem Zug so taten, das Quartier ihres Pinkiedieners zu betreten, galt wahrscheinlich nicht als üblich.
    Das Zimmer der beiden war, verglichen mit meinem, etwas schäbiger, aber nicht so sehr, dass man sich schämen musste. Zwei Schlafkojen waren übereinander angebracht, neben einem niederen Tisch und einer Lampe. Auf dem Tisch stand Caspers Weinflasche, und das Heft, das ich in seinem Zimmer im Seven Scars gesehen hatte, lag offen auf dem unteren Bett mit einem Stift daneben. Die Seiten waren mit fiebrigem Gekritzel bedeckt, ganz so, wie ich mich erinnerte, es zuvor schon gesehen zu haben, doch es gab weniger Zeilen, die wütend durchgestrichen waren.
    »Woran arbeitest du?« Erst als ich die Frage stellte, bemerkte ich, wie überaus unhöflich das war.
    Dennoch hellte ein Grinsen sein Gesicht auf, und er ließ sich aufs Bett fallen und begann zu lesen. »Was ist es, das ihr in euren Augen ausdrückt? Es scheint mir weit mehr als alles Gedruckte, das ich in meinem Leben gelesen.«
    In meinem Bauch begann etwas zu flattern. »Oh. Das ist … ziemlich hübsch.«
    »Ich ertappe mich just vor einem oft begangenen Irrtum.«
    »Das ist … beleidigend?«
    »Ich rufe meinen barbarischen Raubvogelschrei über die Dächer der Welt.«
    »Das ist schlichtweg bizarr. Soll das Poesie sein?«
    »In meiner alten Welt hatte ich ein Lieblingsbuch. Ich war regelrecht besessen davon. Ich besaß mehrere Exemplare, eines davon ein ganz besonderes und teures, ein Geschenk, das ich mir selbst gemacht hatte. Es hieß Grasblätter, ein Mann namens Walt Whitman hat es geschrieben. Nicht alles darin ergab einen Sinn, aber das meiste schon, besonders ein Gedicht namens Gesang von mir selbst . Und obwohl es viele Bücher aus meiner alten Welt auch in deiner Welt

Weitere Kostenlose Bücher