Von der Liebe verschlungen
nicht ausziehen. Der Zug hat angehalten. Wir müssen gehen.«
»Das hier ist noch lange nicht vorbei«, flüsterte er als Antwort an meinen Lippen.
»Das hoffe ich«, flüsterte ich. »Obwohl ich schwer einzufangen sein kann. Versuche es weiter.«
Mit einem Grinsen löste er sich von mir. »Glückt es dir nicht, mich gleich zu fassen, behalte nur Mut, triffst du mich nicht an einer Stelle, so suche woanders, irgendwo bleib ich und warte auf dich.«
Mit einem wilden Auflachen ließ er mich rücklings auf das Bett fallen, küsste mich auf die Nase und sprang auf, um in sein Buch zu kritzeln. Ich seufzte und stützte mich auf einen Ellbogen auf.
»Deine Prioritäten«, sagte ich langsam, »könnten einige Verbesserungen vertragen.«
»Ich bin Künstler, Schätzchen, und die Muse ist eine launische Schlampe. Ich mache es später wieder gut.«
»Das betrachte ich als ein Versprechen«, flüsterte ich ihm ins Ohr, während er schrieb.
Ich konnte die Leute draußen hören, Türen, die auf und zu gingen, laute Stimmen, Gelächter, Schimpfen und Begrüßungen. Als ich aufstand, um mein Kleid noch einmal glatt zu streichen, kam Keen zur Tür hereingestürzt und bedachte mich mit einem bösen Blick, den ich, mehr oder weniger, verdiente.
»Ich war bei deinem Zimmer, aber du warst nicht da«, sagte sie. »Wieder beschäftigt gewesen?«
»Es reicht«, sagte da Casper, stand auf und sah sie finster an. »Keen, du solltest dich daran erinnern, dass wir Erwachsene sind, und dass es unsere Sache ist, was wir tun. Ich bin nicht dein Dad, wie du mir immer wieder sagst. Aber ich bin dein Freund, und jegliche Gefühle, die ich für Ahna hegen mag, ändern daran nichts.« Mit flehendem Blick sah er zwischen uns hin und her.
Tödliche Attentäter konnte ich mit Gelassenheit erledigen, aber die Dramatik von Teenagermädchen ging über meinen Verstand. Und dann hatte Casper auch noch gerade zugegeben, dass er Gefühle für mich hegte. Ich war ein einziges Durcheinander aus Emotionen, und sie alle lenkten mich von meinem Ziel ab.
»Ich will, dass wir Freunde sind, Keen«, sagte ich schließlich und erkannte dabei, so merkwürdig es auch war, dass ich das ernst meinte.
»Na dann, Freundin, würdest du mir wohl erklären, warum ich auf deinem Bett eine Nachtsichtbrille gefunden habe?«
Casper rieb sich über die Augen und verschmierte dabei Tinte über seine Stirn. »Wir wurden letzte Nacht von einem Meuchelmörder angegriffen. Aber wir haben das erledigt.«
»Darauf möchte ich wetten, dass ihr es erledigt habt«, gab Keen zurück, und es war mehr als deutlich, dass sie mit »es« nicht den Meuchelmörder meinte.
Ich hielt eine Hand hoch; ich hatte genug von ihren Spielchen. »Ich biete dir meine Freundschaft an, aber ich warne dich auch. Wir sind jetzt in Moskovia. Weißt du, was man in meinem Land sagt über Bludlemminge, die ihre Nase überall hineinstecken?«
»Interessiert mich das?«
»Sie verlieren ihre Nasen. Und danach ihr Leben. Sei vorsichtig in Frostland, kleiner Lemming, oder du wirst dieses Pony nie bekommen.«
Sie hatte doch tatsächlich die Frechheit, mir die Zunge herauszustrecken, und ich musste beinahe lächeln. Sie hatte Herz und Schneid, wie mein Vater über seine besten Jagdhunde immer sagte. Ich fing tatsächlich an, dieses Geschöpf zu bewundern. Die Vorstellung, dass ein Kind nackt und allein in Sang aufwachte und lange genug überlebte, um an Nahrung und Kleidung zu kommen – beeindruckend. Und ich ahnte, dass sie schon bald noch sehr viel giftiger zu mir sein würde, und das aus guten Gründen.
Über ihren Kopf hinweg formte Casper die Worte Vielen Dank , und ich nickte lächelnd.
Sobald wir erst in der Stadt waren, hätte er keinen Grund mehr, mir zu danken.
26.
K aum trat ich auf die Straße hinaus, war ich auch schon voller Tatendrang. Endlich wieder in vertrauter Umgebung. Die großartige Fassade des Bahnhofs glitzerte in unzähligen Schattierungen aus Weiß und Blau, die Fensterrahmen erstrahlten in solidem Gold. Moskovia war das Juwel des frostländischen Imperiums, ein Zentrum der Geschichte, des Fortschritts und der Kunst. Von den kunstvoll angelegten Parks mit ihren Eisskulpturen und Formschnitthecken über die große Bibliothek bis hin zu den Museen und Theatern – alles war darauf ausgelegt, zu beeindrucken und entzücken. Ich erinnerte mich immer noch an meinen ersten Besuch dort als Kind und daran, wie ich meine Hände die ganze Zeit über in einem weißen Pelzmuff versteckt
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