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Von der Liebe verschlungen

Von der Liebe verschlungen

Titel: Von der Liebe verschlungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Delilah S. Dawson
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anstarrte, warf Reve einen Blick auf eine Kuckucksuhr und nagte an ihrer Unterlippe.
    »Nischt mehr viel Zeit. ’ör auf zu schmollen und mach disch nützlisch.«
    Sie half mir in meine mitgenommenen Stiefel und schnürte sie mir zu, da ich nicht in der Lage war, mich vornüberzubeugen. Ich zog die Handschuhe an, die sie mir gab, und ballte die Hände zu Fäusten. Ich fühlte mich erstickt und stumpf. Noch nie zuvor hatte ich gebrauchte Kleidung getragen. Noch nie hatte irgendein Textil meinen Körper berührt, das von unbedeckten menschlichen Händen berührt, geschweige denn von dem schmutzigen Gesindel vorher getragen worden war. Es war, als trüge ich Abfall. Hässlichen Abfall. Ich stellte mir vor, was wohl meine stolze Mutter denken würde, wenn sie mich so sähe. Wahrscheinlich würde sie sich bei diesem Anblick ihrer Lieblingstochter – ausgeblutet, in Lumpen gehüllt und nahezu kahlgeschoren – in einen bemalten Wasserkrug übergeben.
    Doch halt, nein. Tote übergeben sich nicht.
    »Komm und schau, chérie.« Reve zog mich zu einem Spiegel.
    »Ich glaube nicht, dass ich das will.«
    Aber sie ließ mir keine Wahl, und die Bludfrau im Spiegel war eine vollkommen Fremde. Von ihren riesigen, eisblauen Augen bis zu den hohlen Wangen und dem schmutzig-braunen Haar war sie ein Rätsel. Das braune Kleid und das dunkelbraune Korsett sahen zusammen aus wie ein Überseekoffer, und die Reihe kleiner Messinghaken vorne verstärkte den Eindruck noch. Alles war so schlicht und so abgetragen. Keine Rüschen, keine Spitzen, keine Edelsteine, kein verschmitztes Aufblitzen von Goldfäden beim Laufen. Ich war keine Prinzessin mehr. Ich war nicht einmal mehr ein Mensch. Ein Ding.
    »Ich bin ein Reisekoffer auf Beinen.«
    »Du bist schön, princesse.«
    »Meine Augen sind alles, was von mir noch übrig ist.«
    »Ah, ja«, meinte sie mit ts-ts. »Das können wir nischt so lassen.«
    Damit warf sie mir einen Hut zu und schob mir eine Brille mit dunklen Gläsern auf die Nase. Der Hut war ein kleiner Zylinder aus grobem Segeltuch, noch mehr Braun mit grauen Federn. Ich versuchte, ihn korrekt umzuschnallen, aber mit meinen Fingern in diesen Handschuhen war es ein hoffnungsloses Unterfangen. Sie nahm mir das Ding wieder aus der Hand und arrangierte alles so, dass es passte.
    »Du wirst lernen, das alles selbst zu machen.« Sie neigte den Hut ein wenig und erdrosselte mich damit beinahe. »Casper ’at gearbeitet in eine Wanderzirkus. Er kann dir ’elfen.«
    »Ich habe ihm gesagt, wenn er mich je wieder anfasst, werde ich dafür sorgen, dass sein Kopf auf einem Tablett landet.«
    »Isch kenne einen Mann, der ’at erfunden ein Tablett für genau so etwas«, meinte Reve darauf mit einem leisen Lächeln. »Es ’atte eine elegante Stachel in die Mitte und außen eine Rille, um aufzufangen der Blut. Wie ein Burggraben.«
    »Ich hätte gern seine Adresse, bitte«, antwortete ich ohne eine Spur von Belustigung. Und dann fiel mir mein anderes Ziel ein. »Und ich brauche Ihre Hilfe bei der Entzifferung dieser Notiz. Haben Sie Papier und Stift?«
    Sie brachte mir beides, und ich versuchte krampfhaft, mit diesen verdammten Handschuhen zu schreiben. Vier Jahre der Unbeweglichkeit, kombiniert mit einer störenden Menge an Ziegenleder zwischen meinen Fingern; das bedeutete, dass meine Handschrift kaum leserlich war. Doch sie verstand fast augenblicklich.
    »Der Präparator in Ruby Lane. Mr. Sweeting. Da kannst du nischt ’ingehen. Er ist ein Un’old.«
    »Aber was ist ein Präparator?«
    Ihre Hautfarbe veränderte sich wellenförmig zu fleckigen Schattierungen aus Lavendel, Seegrün und Braun. Eine ähnliche Struktur hatte ich schon einmal gesehen, als ich auf der Jagd einen schon lange toten Pinkie gefunden hatte. Blut und Fäulnis. Was auch immer ein Präparator war, sie hatte Angst davor.
    »Es ist schrecklisch, was ein Präparator tut. Wie sagt man dazu? Wie ein Taxidermist, aber für Leute.«
    »Wer sollte so etwas haben wollen?«
    »Wissenschaftler. Liebende, die nischt loslassen können. Sadisten. Oder solche, die ihre sterblische ’ülle konservieren lassen, in der ’offnung, wieder zu leben. Ein finsterer Ort, in der Tat. Er ist ein Daimon wie isch, aber er ist sehr böse und nährt sisch von die niederste Gefühle. Geh nischt dort’in. Und wo ’ast du diese Adresse gefunden?«
    »Ich habe sie irgendwo gesehen«, antwortete ich leichthin.
    Wenn ich ihr sagte, dass das der eigentliche Bestimmungsort meiner »sterblichen Hülle«

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