Von der Liebe verschlungen
Rücken an das Bücherregal und knabberte an ihrer Lippe, während sie mich anstarrte. Ich begegnete ihrem Blick. Keine von uns blinzelte. Normalerweise war ich ziemlich gut darin, Menschen zu durchschauen. Aber ich hatte keine Ahnung, was in diesem struppigen, unerzogenen Kopf vor mir vorging.
»Okay«, sagte sie schließlich. »Aber wir gehen jetzt sofort, und ohne ein Wort zu Reve. Abgemacht?«
»Abgemacht.« Ich grinste und war ungemein stolz auf mich.
Denn schließlich, wenn alles so lief, wie ich es mir erhoffte, würde sie bald zu tot sein, um irgendwelche Bücher zu lesen.
7.
Z u entwischen war leichter, als ich gedacht hatte, dank der Cabaret-Songs, die mit überwältigender Lautstärke aus Reves Grammofon – und ihrem Mund – schmetterten, während sie arbeitete. Die Daimonin hatte eine bezaubernde, rauchige Stimme mit einem Tremolo, das überraschend bitter klang. Wir kletterten durch ein Fenster an der Rückseite des Hauses hinaus und landeten in einer schmutzigen Gasse. Die Mülltonne, die dort bequemerweise platziert war, und Keens schelmisches Lächeln sagten mir, dass sie das nicht zum ersten Mal tat.
Diesmal war es einfacher, ihr durch die Schatten von London zu folgen, hauptsächlich deshalb, weil wir uns an weniger frequentierte Gebiete hielten. Jede Biegung schien uns in eine noch dunklere, noch elendere Gasse zu führen. Ich bekam einen noch besseren Blick auf die riesigen kastanienbraunen Nagetiere, die mich auf dem Weg zu Reves Werkstatt angefaucht hatten, und ich erkannte, dass es sich nicht einfach nur um andersfarbige Bludlemminge handelte. Diese Viecher waren so groß wie Tommy Pain, der beschlossen hatte, diesen Ausflug auf einer gepolsterten Fußbank auszusitzen. Später würde ich mich fragen, woher der Kater so genau wusste, wo es gerade sicherer war.
»Was ist das für ein Ding?«, flüsterte ich und zupfte Keen an der Jacke.
»Bludratte«, flüsterte sie über die Schulter zurück. »Lass sie einfach in Ruhe.«
Dem kam ich nur zu gerne nach. Schon schlimm genug, dass das Ding so hässlich war, aber es starrte auch noch vor Schmutz. Mir war es lieber, wenn meine Raubtiere etwas Eleganz besaßen. Zwar war ich mir sicher, dass die Bludratten nicht in der Lage wären, mich zu verdauen, allerdings war ich nicht darauf erpicht, es beweisen zu müssen.
Als Keen schließlich stehen blieb, stieß ich fast mit ihr zusammen. Sie stand mucksmäuschenstill vor der dunkelsten Gasse, die ich je gesehen hatte. Ein schwerer Torbogen aus weinenden Steinen umrahmte die düsteren Schatten dahinter. »Ruby Lane« war über den Torbogen geschrieben, mit einer Farbe, die zu rot für Blut war. Ein bösartiges Kichern hallte durch den unerklärlich dichten Nebel über den glänzenden Pflastersteinen.
»Wie malerisch.«
»Das machen sie mit Absicht so.« Keen zuckte mit den Schultern, als wolle sie eine Spinne abschütteln. »Um die falschen Leute fernzuhalten.«
»Und wen halten sie für ›die falschen Leute‹?«
»Die richtigen Leute.«
»Dann lass uns das schnell hinter uns bringen.« Tapfer drängte ich mich in die Finsternis.
Wir gingen nebeneinander, und doch konnte ich sie kaum sehen. Der Nebel roch nach Magie, und ich fragte mich, welche Sorte alter Hexe wohl ihre Tage damit verbrachte, diese Wolke heraufzubeschwören, um das finstere Treiben in der Ruby Lane zu verbergen.
»Dann weißt du jetzt, wohin du willst?«, fragte Keen.
»Ich weiß es, wenn ich es sehe.«
Wir gingen vorbei an bebenden Kleiderbündeln, die einst Leute gewesen sein mussten. Vorbei an kleinen Feuern, die nach Magie und Knochen stanken. Vorbei an einer alten Frau, die gebratene Bludratten am Stock verkaufte; die verkohlten Felle und zuckenden Beine sonderten einen Übelkeit erregenden Rauch ab. Wir hielten den Atem an, als wir am Dragon’s Lair vorbeikamen, wo berauschender Rauch mit Lavendelduft über den Boden wirbelte und mit den Mysterien des Ostens lockte. Wir hörten die schwermütigen Weisen eines verstimmten Cembalos, die wie trunken aus dem Green Fairy’s Sister drangen, einem Ort, wo der Absinth höchstwahrscheinlich etwas Übleres als Wermut enthielt. Ein zweiköpfiger Hund lief kurz hinter uns her, beschnüffelte dann meine Hand und knurrte, woraufhin ich ihm einen Tritt versetzte und fauchte. Alles in allem war das der unangenehmste Ort, den ich je gesehen hatte, abgesehen vom Verlies meines eigenen Palastes.
Vor dem nächsten Schaufenster allerdings blieb ich wie angewurzelt stehen. Hinter
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