Von der Liebe verschlungen
sie von selbst zurückkommen. Glaub mir – das hatten wir schon sehr oft.«
»Das … ich meine … oh«, stammelte ich, und fühlte mich so dumm und armselig wie nie zuvor.
Ja natürlich, ich war nur eine mehr in einer langen Reihe von Mädchen, die er verführt hatte. Kein Wunder, dass Keen immer wütend auf mich war. Für sie schien Casper wie eine Art Vater zu sein; sie musste seinen Frauen gegenüber dieselben Gefühle hegen wie ich gegenüber den vielen wechselnden Liebhaber meiner Mutter: angewidert und hasserfüllt.
Was auch immer ich bis vor kurzem an Beziehung zu dem Mädchen aufgebaut haben mochte, war nun wohl vorbei. Merkwürdigerweise stimmte mich das … traurig. Tausende von Meilen von zu Hause entfernt, umgeben von Fremden, war es doch nett gewesen, mit jemandem zu reden, der mich nicht tot sehen wollte.
Casper ging in unserem kleinen Zimmer auf und ab und trommelte mit den Fingern gegen seinen Oberschenkel. Ich hatte keine Ahnung, was für ein Lied das sein mochte, aber es klang hart und hämmernd. Sein Atem ging schnell, und als er stehen blieb und mich ansah, waren seine Pupillen winzig wie Stecknadelköpfe im düsteren Blau seiner Augen. So sehr es mir auch gefallen hatte, Bekanntschaft mit der Bestie in ihm zu machen – was ich nun in ihm erblickte, war eine neue Art von Wahnsinn, und die machte mir Sorgen.
»Ahna.« Rauh und gequält stieß er meinen Namen aus.
»Vielleicht solltest du doch gehen«, sagte ich. Mir wurde bewusst, dass mein Kleid aufgeschnürt und das weiße Korsett darunter zu sehen war. Ich hielt den Samtstoff über meinem Brustkorb zusammen und versuchte, das Kleid wieder zuzuschnüren; zugleich war ich mir sicher, dass mein Gesicht röter war als Blut.
»Vielleicht will ich gar nicht gehen.«
Ich drehte ihm den Rücken zu, um meine Scham zu verbergen und die verdammten Tränen, die ich nicht aufhalten konnte.
»Ahnastasia, bitte –«
»Nenn mich einfach Anne«, antwortete ich leise. »So ist es einfacher.«
Einen langen Augenblick stand er da. Ich stellte mir vor, wie er die Hand ausstreckte und irgendetwas ihn davon abhielt, mich mit seiner Berührung zu trösten. Aber ich gestattete mir nicht, nachzusehen, ob es wirklich so war. Vielleicht zählte er gerade sein Geld, um zu sehen, ob er sich heute Nacht eine der Kurtisanen leisten konnte. Vielleicht hatte er auch eine Abmachung mit Miss May. Ich wollte nur, dass er endlich ging, damit ich in Frieden weinen konnte.
»Geh einfach, Casper.«
Er seufzte traurig, und am Geräusch seiner Stiefel auf dem Holzboden hörte ich, wie er sich umdrehte. Genau in dem Moment ging ein Ruck durch das Luftschiff, der ihn mit mir zusammen auf das Bett warf. Ich presste eine Hand auf meinen Mund, um die plötzlich aufsteigende Übelkeit zu unterdrücken. Über uns erklang Geschrei, und die Maybuck ruckte erneut.
»Was ist das?«, krächzte ich, während blutige Galle in meiner Kehle aufstieg.
Casper ging in Verteidigungshaltung. »Ich weiß es nicht, aber da stimmt was nicht.«
Über uns donnerten Schritte, und ich starrte an die Decke; ich war mir ziemlich sicher, dass sich auf dem Schiff nicht so viele schwere Stiefel befinden sollten. Casper öffnete die Tür, um nach draußen zu spähen, und laute Schreie und das Geräusch von Metall auf Metall drangen über den Flur.
»Bleib hier.« Er warf etwas auf das Bett, und ich hob es auf. Ein Dolch, kaum mehr als ein Brieföffner. »Ich weiß nicht, was hier gerade passiert, aber schließ die Tür ab und halte dich bereit. Ich muss Keen finden.«
Ich drehte die Klinge in meinen Händen und schob sie unter mein Bein. Casper hielt die leere Flasche wie einen Knüppel in der Hand und taumelte auf den Flur, als das Schiff wieder ruckte. Etwas Dunkles flog durch die offene Tür und prallte schwer gegen seinen Kopf, und er sackte zu Boden. Die wilde Gestalt, die daraufhin den Türrahmen ausfüllte, hatte verfilztes Haar und nur ein Auge, das im Licht der Lampe glänzte wie das von Tommy Pain.
Mit einem Fauchen kam ich auf dem Bett auf die Füße, Caspers Messer fest in der Hand.
»Das hältst du aber ganz verkehrt, Frollein«, meinte der Mann und klang unerwartet belustigt dabei.
»Ich habe noch andere Waffen.«
»Deine Waffen sind nicht das, was ich sehen will.«
Der Pirat kam näher, irgendwie drohend und zögernd zugleich, und meine Raubtieraugen erfassten jedes Detail an ihm. Sein dunkles Haar fiel ihm in langen, wirren Locken über den Rücken. Seil-, Muschel- und
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