Von der Liebe verschlungen

weißt du. Außerdem bin ich davon ausgegangen, dass jeder in der Schule Geschichte und Geographie hatte.«
    »Yeah, aber in meinen Unterrichtsstunden ging es um Russland und die UdSSR«, knurrte er.
    Da drang plötzlich der Geruch von Fleisch an meine Nase, und ich wirbelte herum. Keen schlenderte hinter uns her und kaute auf einem Stückchen getrocknetem Tierfleisch herum.
    »Steck das weg. Der Geruch lässt sich zu uns verfolgen.«
    Sie grinste, und zwischen ihren Zähnen steckten Reste von dem braunen Zeugs. »Kannst du nicht einfach alles töten, was hinter uns herkommt? Sogar das Einhorn hatte Angst vor dir.«
    Ich nahm ihr das Fleischstück aus der Hand und stopfte es mit strengem Blick zurück in ihre Jackentasche. Es gab so vieles, was diese beiden zarten kleinen Pinkies über meine Welt nicht wussten, und ich wollte, dass sie möglichst lebendig auf der anderen Seite wieder herauskamen.
    »Wir müssen rechtzeitig aus dem Wald herauskommen und die Stadt erreichen, um bei Sonnenuntergang den Zug zu erwischen. Gegen Bludbären zu kämpfen, kostet wertvolle Zeit. Dieses Futter von dir stinkt.«
    »Und was, wenn wir es nicht bis Einbruch der Nacht schaffen?«, fragte Casper.
    »Dann werdet ihr es nicht schaffen«, antwortete ich. »Denn dann wird uns etwas noch Schlimmeres als Einhörner finden, sofern wir nicht vorher erfrieren. Dieses Land kennt keine Gnade.«
    Casper übernahm wieder die Führung und prüfte regelmäßig seinen Kompass. Es gab keine Pfade, nur dicke Bäume, die kaum Sonnenschein durchließen. Keen zitterte bereits, und dabei war es nach meiner Schätzung noch nicht einmal Mittag. Ich war dankbar für meine natürliche Toleranz gegenüber der Kälte, und ich vermutete, dass es Casper ähnlich ging, als er aus seinem großen Mantel schlüpfte und ihn um Keen wickelte. Er war viel zu lang für sie, und der Saum schleifte über den Boden, aber wenigstens hörte sie auf, zu zittern und mehr Duftstoffe abzustrahlen als notwendig.
    Wir redeten nicht viel, und ich war dankbar für das Schweigen. Geräusche würden nur unwillkommene Aufmerksamkeit erregen, und ich war viel zu verwirrt von meinen eigenen Gefühlen, um unsere Umgebung ständig wachsam im Auge zu behalten. Mir ging Caspers Geständnis über das Märchenland, aus dem sie gekommen waren, einfach nicht aus dem Kopf. Konnte es wahr sein, dass es außer Sang noch andere Welten gab? Dass Casper nicht nur ein verkommener Musiker und ein dem Ruin geweihtes Halbblud war, sondern auch ein Reisender aus einer völlig anderen Welt? So langsam gewöhnte ich mich an die Idee. Der Gedanke, dass er mehr sein könnte als es den Anschein hatte, stachelte meine Neugierde an. Man hatte mich gelehrt, den Wert anderer nur danach zu beurteilen, was man in Politik, Hofintrigen oder dem Preis für einen Thron oder einen Gefallen herausschlagen konnte. Casper zu mögen, war die schlimmste Form von Rebellion.
    Ich grinste in mich hinein. Rebellion hatte mir schon immer gefallen.
***
    Stundenlang trotteten wir dahin. Eine ganze Weile lang änderte sich überhaupt nichts. Dieselben Bäume, dieselben kurzen Anblicke von Himmel oder Flecken spröden braunen Grases. Egal, welche Bludkreaturen um uns verborgen waren, sie rochen mich und suchten das Weite, und ich musste grinsen, wann immer ich knackende Zweige oder das Donnern von Hufen durch den Wald vor uns hörte. Die Tiere des Waldes wussten ganz genau, wann ein größeres Raubwesen als sie selbst unterwegs war, und ich sonnte mich in der Rückkehr meiner wahren Natur. Ich war dazu geboren, gefährlich zu sein und zu herrschen, und mich auf dem Luftschiff so zurückzuhalten, hatte mich ziemlich angestrengt.
    Ich roch die Tundra, noch bevor ich sie sah: den vollen, sirupartigen Duft von Kiefern, durchwirkt mit einem hauchfeinen Anflug von gefrorenem, verwelktem Gras und heftigem Wind. Ich seufzte und lächelte. Derselbe Geruch haftete auch dem Eispalast an, wo wir den Wald mit weiten Feldern fernhielten, die unseren Feinden keine Deckung bieten würden, sollten sie jemals versuchen, uns anzugreifen. Es gab nur sehr wenig, was mich auf offenem Feld bedrohen konnte.
    Doch nicht so bei Casper und Keen. Sie drängten sich dichter aneinander und sahen sich um, als würden jeden Augenblick Einhörner aus dem kniehohen Gras hervorstürmen und sie durchbohren. Einmal sah Casper sich nach mir um, doch als er mein triumphierendes und selbstsicheres Grinsen sah, schien er bestätigt, dass ich auf mich selbst aufpassen