Von der Liebe verschlungen
das Einhorn nun verschwunden war.
»Ich kann nicht glauben, dass ich beinahe von einem Einhorn gefressen worden wäre«, murmelte Keen. Sie schüttelte den Kopf, als sei die Magie nun endlich verflogen, und ihre Hände befühlten ihre Taschen. »Donatello! Er ist weg!«
Sie fiel auf die Knie und wühlte durch die raschelnde Laubstreu, und Casper warf mir einen gequälten Blick zu.
»Dieser Goldball, mit dem sie immer spielt. Er ist … das Einzige, woran sie wirklich hängt, aber sie will mir nicht sagen, wieso.«
»Ich bin hier, du Arsch, und ich bin nicht taub. Und ich gehe hier nicht weg, bis wir ihn gefunden haben.«
Ich drehte mich langsam im Kreis und atmete tief ein, bis ich eine Duftnote wahrnahm, die sich von alter Vegetation und Erde unterschied. Ich folgte dem metallischen Hauch und wühlte im Erdboden neben dem Pfau herum, bis ich sie fand – die Messingkugel, mit der ich Keen immer wieder hatte spielen sehen. Ich drehte mich um und hielt sie ihr hin, und ihr strahlendes Lächeln erhellte ihr Gesicht.
»Donatello!« Sie riss mir das Ding aus der Hand und herzte es.
»Was ist das für ein Ding?«, fragte ich und versuchte, mir den öligen Geruch nach Uhrwerk am Rock abzuwischen.
Mit einem strahlenden Grinsen hielt Keen die Kugel ins Licht. »Ich schätze, wir sind jetzt weit genug weg, dass ich es euch zeigen kann. Ist ja nicht so, dass mich irgendwer aus London hier je finden würde, richtig?«
Casper zuckte mit den Schultern, und ich sah zu, wie sie mit ihren kleinen Fingern in die Kugel griff und einen beinahe unsichtbaren kleinen Messingschalter drückte. Die Kugel glitt auf, und ihre Teile entfalteten und drehten sich, bis auf ihrer Hand eine Messingschildkröte saß, deren Getriebe leise tickte.
»Jetzt verstehe ich«, meinte Casper und kam lächelnd näher. »Teenage Mutant Hero Turtles.«
»Eigentlich ist es eine Schildkröte«, fing ich an, aber sie unterbrach mich:
»Halt die Klappe. Es gibt keine coolen Namen für Schildkröten.«
»Und wann hast du das kleine Juwel gemopst?«, fragte Casper.
»Habe ihn bei Sweeting mitgehen lassen«, antwortete sie mit einem Schulterzucken. »Er war mir noch was schuldig.«
Casper stöhnte und rieb sich über die Augen. »Du bist ja lebensmüde, Mädchen.«
»Mir egal. Du bist doch derjenige, der mich gerade mit einem kaputten Fallschirm aus einem Fenster geschubst hat.«
Nachdem nun also wieder alles einigermaßen normal war, sah ich mich prüfend um, doch der Wald sah überall gleich für mich aus. Zwar hatte man mir beigebracht, zu jagen, aber niemand hatte sich je die Mühe gemacht, mich zu lehren, wie man außerhalb des Eispalastes überlebte. Ich wusste ein wenig über Geographie, aber nichts über Navigation. Mein ganzes Leben hätte sich in den Sälen großartiger Schlösser abspielen sollen.
»Wir müssen nach Minks«, sagte ich. »Von dort können wir den Zug direkt nach Moskovia nehmen.«
»Und dann?« Keens Abwehrhaltung war wieder da, ebenso wie ihr Akzent, und ich versuchte, mein Lächeln zu unterdrücken.
»Und dann suchen wir eine alte Bekannte von mir auf und entscheiden, wie wir am besten in den Palast kommen.«
»Aber wenn du verkleidet bist und wir kein Geld haben, wie denkst du denn, dass wir dann in den Zug kommen? Man braucht keinen berühmten Pianisten, um einen Dampfmotor anzutreiben«, wandte Casper ein und schüttelte bitter den Kopf. In seinen Haaren hatte sich Laub verfangen.
Das kalte, berechnende Lächeln schlich sich auf mein Gesicht, vertraut und willkommen. Es war ein gutes Gefühl, wieder etwas Macht zu haben. Jemanden zu überraschen. Meine Schläue zu zeigen.
»Ich habe da noch ein kleines Geheimnis«, sagte ich.
23.
M it einem Augenzwinkern griff ich in mein Korsett und holte das Collier heraus, das ich, warm und schwer, seit London darin bei mir getragen hatte. Die Silberglieder waren angelaufen, aber die Steine funkelten im Licht des Morgens. Die Vögel in den Bäumen verstummten, und ich stellte mir vor, wie ihre klugen Augen begierig auf die glitzernden Diamanten und Topase blickten, die dem Herzen des Gletschers so sehr ähnelten, dass man sagte, er habe sie geboren, wie den Willen der Eisgötter.
»Wo zur Hölle hast du das her?«
»Mach den Mund zu, bevor etwas hineinfliegt, Liebling. Es ist ein Collier.« Ich lächelte und zeigte Keen meine scharfen Zähne. Es war ein befriedigendes Gefühl, sie noch einmal daran zu erinnern, dass ich zwar auf dem Schiff zahm gewesen war, wir uns nun aber
Weitere Kostenlose Bücher