Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Von der Nutzlosigkeit, älter zu werden

Von der Nutzlosigkeit, älter zu werden

Titel: Von der Nutzlosigkeit, älter zu werden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Heinzen
Vom Netzwerk:
sprachlos. Dann brach es aus ihr heraus, ein unbändiges Lachen. Ein Lachen, das die Teller auf dem Tisch tanzen ließ und Wellen warf im Aquarium. Ein Lachen, das die Eiswürfel in den Cocktails zum Bersten brachte und die Glückskekse zum Platzen. Ein Lachen, das sich wie ein Virus verbreitete, dass bald das ganze Chinarestaurant lachte, sogar die beiden Kellnerinnen, die aussahen, als hätten sie noch nie in ihrem Leben gelacht. Alle
lachten, während ich einen Fünfziger auf den Tisch warf und die Flucht ergriff.
     
    All das ging mir durch den Kopf, während ich vor dem Altglascontainer stand und Heidis Einladung betrachtete, die ich eigentlich wegwerfen wollte, jetzt aber in meiner Jacke verschwinden ließ. Wer weiß, wofür es gut war! Damals dachte ich noch nicht an meine Recherche. Aber sollte das mit Martina auf eine ernsthafte Trennung hinauslaufen, vielleicht ließ sich an alte Zeiten anknüpfen.
    Aber wo war Heidi?
    Inzwischen schienen alle Gäste eingetroffen zu sein, jedenfalls war jeder Stuhl an dem langen Tisch besetzt. Ich wollte gerade die Geschichte mit der Genitiv-Metapher in Paul Celans Niemandrose zum Besten geben, als zwei warme Hände meine Augen zuhielten und sich zwei ebenfalls warme Brüste auf meinen Nacken senkten.
    »Hätte dich beinahe nicht wiedererkannt«, ertönte eine vertraute Stimme. Wobei die Stimme das einzig Vertraute war, als ich mich umschaute und in das Gesicht einer Blondine starrte.
    Wir hatten einmal miteinander geschlafen, und das war lange her, aber ich konnte mich noch daran erinnern, dass Heidis Brüste locker in meinen Handflächen Platz hatten. Jetzt tat sich in Heidis Dekolleté ein Canyon auf. Außerdem war Heidi damals nicht blond. Vor mir stand eine vollkommen andere Frau.
    »War zur Inspektion in der Werkstatt«, beendete Heidi lachend meine Verblüffung, »und habe mich runderneuern lassen.«
    Auch eine Möglichkeit, mit dem Älterwerden umzugehen, dachte ich, selbst wenn es eine Flucht war. Der Tod würde sich nicht von gelifteten Wangen und aufgespritzten Lippen beeindrucken lassen. Wir standen längst auf der Warteliste.
    Heidi begrüßte die Gäste, wobei sie es sich und uns ersparte,
jeden einzeln vorzustellen. »Und jetzt Bühne frei für I never had Sex with Miss Lewinsky !«
    Drei fette Typen stiegen auf die kleine Bühne, zwei von ihnen hingen sich Gitarren um, der dritte nahm hinter dem Schlagzeug Platz. »Wir sind eigentlich gar keine richtige Band und richtig spielen können wir auch nicht«, stellte sich der Sänger und Leadgitarrist vor. »Aber Heidi hat uns gebeten, zwei, drei Songs zu spielen, die in ihrem Leben wichtig waren. A one, a two, a three …« Der Gitarrist spielte den Riff von Sex Machine , und sofort füllte sich die Tanzfläche.
    »The way I like it, is the way it is
    I got mine, he got his …«
    Gesetzte Männer machten ruckartige Bewegungen, als würden sie sich für eine Rolle in einem Pornofilm bewerben. Frauen in Businesskostümen feuerten ihre Pumps in die Ecke und sangen: »Stay on the scene, like a sex machine ...«
    Nur ich saß allein an dem langen Tisch, hielt mich an meinem Bier fest und fragte mich, warum unsere Generation sich so schwer damit tat, einfach mal cool zu sein. So wie ich als Einziger dem Reflex widerstand, meine Arme in die Luft zu recken, als der Sänger fragte, ob wir »ready« wären. Ja, wir waren fertig, aber ganz anders, als der Sänger es meinte.
    I never had Sex with Miss Lewinsky waren die schlechteste Band, die ich jemals gehört habe. Es gibt ein seltsames Phänomen: Je schlechter eine Band ist, desto länger spielt sie. Auch hätte mich der Bandname stutzig machen müssen. So nennen sich Leute, die viel Zeit haben, sich solch einen Quatsch auszudenken, weil sie nirgendwo auftreten dürfen. Die Tanzfläche hatte sich geleert – wie soll man auf Riders on the Storm tanzen? Die Leute wollten sich unterhalten. Aber I never had Sex with Miss Lewinsky drehten immer mehr auf. Ich beobachtete Heidi, wie sie verzweifelt versuchte, während eines 10-minütigen Schlagzeugsolos – warum ist so etwas nicht längst verboten, man darf doch auch keine Dioxine mehr in Babynahrung kippen – die Band dazu zu bringen,
endlich aufzuhören. Dabei gingen die ersten Gäste bereits nach Hause, mit Tinnitus ist nicht zu spaßen.
    »Geht’s euch gut, Leute?« fragte der Sänger.
    »Nein!« brüllte die Handvoll Aufrechter, die noch ausharrten wie ich, was I never had Sex with Miss Lewinsky nicht davon abhielt,

Weitere Kostenlose Bücher