Von der Nutzlosigkeit, älter zu werden
die Szene um: Lea ist schwanger, kann sich aber nicht mehr erinnern, wie es passiert ist, weil sie zu betrunken war. Ihre Eltern machen Druck. Lea besorgt sich einen Termin in einer Beratungsstelle und bekommt eine Indikation. Lea geht zur Abtreibung – erster Werbebreak. Aber im letzten Moment sagt sie, dass sie ihr Baby behalten will. Die Eltern sind außer sich: Dein Leben ist verpfuscht! Lea wendet sich an eine evangelische Notfallseelsorgerin – evangelische Notfallseelsorgerinnen kommen immer gut in der Primetime. Diese vermittelt den Kontakt zu einem netten Paar, das sich verzweifelt ein Kind wünscht – nächster Werbebreak.
Und ich wäre Manns genug, mich den braunen Horden in den Weg zu stellen, die unsere jüdischen Nachbarn abholen wollen?
Vielleicht kommen unsere Verachtung für die Spießigkeit unserer Eltern und unsere Verklärung von Revolutionen aus dem Wissen um die eigene Feigheit?!
Bei uns senken sich die Jalousien inzwischen auch automatisch. Das war nicht meine Entscheidung, sondern die Entscheidung der Eigentümerversammlung . Ein Gremium, von dem ich mir nie hätte träumen lassen, dass ich einmal zu den monatlichen Treffen gehen würde. Hier wird besprochen, wann Klavierspielen erlaubt ist und dass Sonnenkollektoren aufs Dach kommen, die die Motoren der Jalousien antreiben. Die Eigentümerversammlung ist ein Spiegelbild dieses Landes, in dem ich seit fast 50 Jahren lebe: Ich bin immer dagegen und lehne alle Vorschläge ab, profitiere aber von den Entscheidungen. In der Eigentümerversammlung gefalle ich mir in der Rolle des Revoluzzers, der sich über die analen Ängste der anderen Wohnungsbesitzer lustig macht. Insgeheim bin ich dagegen froh über die neue Trittschallisolierung,
die mich vor den Tonleitern der Nachbarskinder schützt.
Was würde ich jetzt darum geben, wenn sich lautlos die Jalousien senken würden – ich habe den Mechanismus ausgeschaltet und weiß nicht mehr, wie er angeht. Martina säße in ihrem Zimmer und hätte die Tür geöffnet, ich säße in meinem Zimmer und hätte meine Tür geöffnet. Tom Waits würde für Lagerfeuer-Atmosphäre sorgen. Wir würden an unseren Laptops sitzen und uns kurze Mails schicken – welchen Wein ich für uns aufmachen soll, und Martina würde fragen, ob ich Lust hätte, mit ihr in die Kammerspiele zu gehen.
Warum begreift man erst im Nachhinein, dass man wirklich glücklich war? Ich dachte immer, diese offenen Türen abends, das sei unser bescheidenes Glück, weil wir es nicht zu mehr gebracht hätten. Es gibt Paare, die haben ganz andere Möglichkeiten. Wenn ich beim Friseur die Promi-Magazine durchblättere und neidvoll sehe, was die Beckhams zum Beispiel so treiben: wenn David und Victoria aus einer weißen Stretch-Limo steigen und über einen roten Teppich laufen, verfolgt von Dutzenden Kameras und den bewundernden Blicken der Fans. Jetzt, wo ich Martinas Tür geschlossen habe, weil ich den Anblick ihres leeren Zimmers nicht ertrage, begreife ich, was wir verloren haben.
Es gab immer wieder Zeiten, da wünschte ich mir, Single zu sein. Nachhause zu kommen, die Tür hinter mir zuzumachen und keine Fragen beantworten zu müssen, wie mein Tag war. Beschissen, was denn sonst! Einfach meine Ruhe haben und allein sein. Ich könnte tun und lassen, was ich wollte, und müsste wegen Dorata kein schlechtes Gewissen haben. Ich könnte die ganzen alten Freunde treffen, die ich vernachlässigt habe, wie Frank, der ständig redet und einen immer unterbricht, weil er nicht zuhören kann. Aber für einen Abend ist Frank zu ertragen und er stellt keine Fragen, wie warum der Spieler mit der Nummer eins den Ball in die Hand nehmen darf.
Frank freut sich, als ich anrufe und frage, ob er spontan Lust und Zeit hätte für ein Bier.
Lust schon, aber keine Zeit. Er muss seiner kleinen Tochter noch vorlesen – Frank ist Spätgebärender. Früher habe ich das kritisiert, mit Ende 40 noch Vater zu werden. Deine Kinder sind gerade raus aus den Windeln, und du selbst kommst bald wieder rein. Jetzt beneide ich Frank. Wäre doch schön, wenn David, statt mich zu kritisieren, weil ich mit dem Flugzeug in den Urlaub fliege und die Ozonschicht zerstöre, auf meinem Schoß säße und ich ihm den Kleinen Prinz vorlesen würde, statt Leute anzurufen, die alle keine Zeit haben.
Das Killerwort ist spontan . Dabei hatte ich gedacht, dass dieses Adjektiv den Unterschied macht zwischen einer festen Beziehung und dem Single-Dasein. Spontan geht man ins Kino,
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