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Von der Nutzlosigkeit, älter zu werden

Von der Nutzlosigkeit, älter zu werden

Titel: Von der Nutzlosigkeit, älter zu werden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Heinzen
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keinen Fall sein wollte – ein Zeitzeuge.
    Als die Talking Heads hier spielten, waren meine Studenten noch gar nicht geboren. Das war in einem anderen Jahrtausend. Und wenn sie bisher dachten, ich sei Anfang 40, weil ich es seit zwei Jahren – seit ich Dozent war – nicht schaffte, meine Vita für die Instituts-Website einzureichen, die mich verraten hätte, konnten sie sich jetzt an einer Hand ausrechnen,
dass ich stramm auf die 50 zuging. Dabei fanden es meine Studenten total cool, jemanden zu kennen, der die Talking Heads live gesehen hat. So wie es mich bei einer Fahrt durch Havanna elektrisierte, als der Taxifahrer erklärte, er habe mal eine Zeit lang Che Guevara chauffiert. Der Commandante habe auf genau dem Platz gesessen, auf dem ich saß.
    Jetzt machte mir der Umstand, dass ich hier vor einem Vierteljahrhundert ein Konzert der Talking Heads gesehen hatte, klar, welche Welten mich von meinen Studenten trennten. Denn auch hier spielten wir unsere Rollen. Obwohl die Kellnerinnen Hotpants trugen und niemand eine Chance auf den Job zu haben schien, der eine Körbchen-Größe unter D hatte, benahmen wir uns wie im Seminar. Ich dozierte über New Wave , und meine Studenten hörten zu. Emma machte sich sogar Notizen. Wer weiß, ob ich das nicht irgendwann abfragen würde? Und als ich nach der dritten Runde, die ich alle bezahlte, ihnen das Du anbot, gingen sie nicht darauf ein. Sie rochen den Braten – so leicht würden sie mich nicht aus meinem Altersgetto ausbrechen lassen.
    Inzwischen hatte DJ Kotze das ganze Vinyl, das er in einem Special-Trolley herumfuhr, ausgepackt und sortiert. Das No Future war jetzt rappelvoll. Ich hatte gehofft, dass ein paar Leute in meinem Alter auftauchen würden, um den Altersdurchschnitt von 25 auf über 30 zu heben. Aber es kam nur ein einziger Mann, der noch älter war als ich. Er hatte lange Haare und trug eine braune Wildlederjacke mit Fransen. Als wäre er bei dem Katastrophen-Szenario, das David immer an die Wand malt – wenn wegen der Erwärmung der Weltmeere der Golfstrom versiegt und innerhalb von 12 Stunden die Temperaturen in Mitteleuropa auf minus 60 Grad fallen – auf einem Rockfestival, wo gerade Genesis spielte, schockgefroren worden.
    Ich hasse es, wenn im Urlaub der Kellner an unseren Tisch ein anderes Paar platziert, weil es auch Deutsche sind. Als ob es ein ganz besonderes Glück wäre, im Ausland Landsleute zu treffen. Deshalb fährt man doch weg, damit das nach
Möglichkeit nicht passiert. Aber der Typ in der Lederjacke mit den Fransen stellte sich ungefragt zu mir an die Bar und zeigte mit seinem Bier auf DJ Kotze, der gerade seine Arbeit aufgenommen hatte.
    »Alles nichts Neues, ich sage nur Talking Heads . Hab ich hier mal live gesehen.« Es folgte ein prüfender Blick. »Warst du früher nicht auch immer hier?«
    Ja, leider, dachte ich. Hier hatte ich meine besten Jahre vergeudet, weil ich nicht wusste, was ich mit meinem Leben anfangen sollte. Aber was ging das dieses Fossil an, das nicht zu stoppen war. »Die ganzen Leute, die früher immer hier waren, haben alle geheiratet und Kinder bekommen. Bin irgendwie übrig geblieben und dachte schon, ich wäre der Einzige. Aber freut mich, dass dem nicht so ist.«
    Mein neuer Kumpel winkte der Barfrau, um zwei Bier zu ordern, damit wir auf die guten alten Zeiten anstoßen könnten. Ich nutzte die Gelegenheit, mich zu verdrücken, auch wenn meine Studenten mich baten zu bleiben. Der Abend fing gerade erst an, dabei ging schon die Sonne auf. Ich würde es mit den Indianern halten: Bevor ich mich von stehengebliebenen, langhaarigen Losern zum Bier einladen ließe, würde ich hinausreiten in die Prärie, mich an einen Baum lehnen und in Würde alleine sterben.

5
    Kalimera, hier ist Jorgos! Ich habe eine Frage wegen deines 50. Geburtstags. Also ruf mich mal zurück, auch spät. Du weißt ja, ich bin nachtaktiv.
     
    Es war vier Uhr morgens, genau die Zeit, wenn Jorgos im Neoprenanzug in seine Taverne tropft, wo er von seiner Frau empfangen wird, die dann immer schimpft: Eines Tages käme die Polizei, dann gäbe es eine Anzeige wegen illegalen Fischens und sie müssten schließen. Dann erwidert Jorgos, wenn er, statt selbst Doraden zu fangen, diese für teures Geld auf dem Markt kaufen müsste, könnten sie erst recht die Taverne dichtmachen.
    Wie oft habe ich diesen immer gleichen Dialog gehört. Auch so eine Art stilles Glück.
    Sofia würde Jorgos aus dem nassen Tauchanzug helfen und dabei weiter schimpfen.

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