Von der Nutzlosigkeit, älter zu werden
spontan fährt man in die Berge, spontan hast du den besten Sex deines Lebens. Jetzt musste ich erfahren, dass das Einzige, was spontan klappt, das Alleinsein ist.
»Sorry, aber wir haben schon was vor. Versuch’s doch noch mal in sechs Wochen.«
»Das ist ein bisschen kurzfristig, hättest du doch eine Stunde früher angerufen. Bei uns wurde eine Verabredung gecancelled, aber jetzt haben wir uns die Sopranos ausgeliehen. «
»Nett, dass du dich meldest. Ich hätte nächste Woche noch einen Termin frei, eventuell. Ich muss wegen eines Meetings nach Berlin, die Sache ist aber noch nicht confirmed. Soll ich dich auf die Warteliste setzen?«
Gecancelled? Confirmed? Bin ich eigentlich der Einzige in dieser großen Stadt, der nichts vorhat? Ich fühle mich so einsam und verlassen, dass ich überlege, Dorata anzurufen. Scheiß auf Onkel Micha! Aber ich habe ihre Handynummer nicht. Ich wäre sogar bereit, meinen Vater im Altenheim zu besuchen, aber da ist schon seit Stunden das Licht aus.
Warum steckt man die alten Leute im Altenheim eigentlich so früh ins Bett wie kleine Kinder?
Besser gar nicht darüber nachdenken. Aber der verdammte
Monkey Mind gibt keine Ruhe. Er sitzt auf einem Ast, auf dem »Einsamkeit« steht, und bewegt sich von dort keinen Millimeter weg.
Zwei Wochen, sagt der Affe und lacht. Erst zwei Wochen? Was willst du tun, wenn du den Rest deines Lebens alleine bleibst?!
Darüber hatte ich noch nie nachgedacht. Nicht nur, weil es mir vor kurzem undenkbar erschien, dass wir uns trennen könnten. Wegen der statistisch höheren Lebenserwartung der Frauen war ich davon ausgegangen, dass ich vor Martina sterbe. Was, wenn dem nicht so wäre? Aber soweit musste es gar nicht kommen, für Martina war ich bereits gestorben. Statt mich als lustiger Single ins pralle Leben zu stürzen, würde ich ein einsamer, alter Mann sein. Denn welche Beziehungsoptionen blieben mir? Ich konnte bei schwertraumatisierten jungen Frauen wie Dorata den Onkel Micha spielen oder mich zwischen Heidis Brustimplantaten vor dem Tod verstecken. Beides keine Perspektive, die meine trübe Stimmung hob.
»Bloß nicht hängen lassen!« redete ich mir ein. Seit Martinas Auszug ertappte ich mich häufiger dabei, dass ich laut mit mir selbst redete. Oder hing das mit meinem drohenden 50. Geburtstag zusammen? »Du musst dich erst noch an die neue Situation gewöhnen. Das geht nicht von heute auf morgen. Wichtig ist, dass du unter Leute gehst. Und wenn keiner Zeit hat, weil du versäumt hast, sechs Wochen im Voraus einen Termin für ein Bier im Stehen zu vereinbaren, dann gehst du halt alleine aus.«
Mühelos passierte ich mit meiner Vintage-Jeans und meinem Designer-Jackett den Türsteher des No Future . Heute, an einem Sonntagabend, war nicht viel los.
»Nicht viel los, was?« versuchte ich mit der Barfrau ein Gespräch anzufangen.
»Ist ja auch noch früh«, erwiderte sie mit einem Blick zur Uhr. »Was bekommen Sie?«
Wenn man kurz vor Mitternacht in einer Bar mit Sie angesprochen wird, hat man ein Problem.
Ich bestellte ein Bier und machte weiter tapfer Smalltalk, aber die Barfrau gab mir zu verstehen, dass sie zu tun habe. Dabei redete sie mit jedem hier, nur nicht mit mir. Hatte sie Angst, sich bei mir etwas einzufangen wie graue Haare oder Falten, wenn sie mir ein Lächeln schenken würde? Wäre ich doch zuhause geblieben, anstatt den ganzen Leuten hier zu zeigen, dass ich alt und einsam war. Ich beschloss, das Bier auszutrinken und zu gehen. Aber als ich zahlen wollte, wobei die Barfrau zum ersten Mal lächelte, froh darüber, dass ich mit meinem frustrierten Gesicht nicht länger das Design versaute, kamen ein paar meiner Studenten herein. Es war nach Mitternacht, aber der wichtige DJ, wegen dessen Auftritt es langsam voll wurde, machte sich gerade erst an den Turntables zu schaffen. Jetzt verstand ich, warum das halbe Seminar schlief, wenn ich montagmorgens Die 120 Tage von Sodom zeigte.
»Sind Sie auch wegen DJ Kotze hier?«
Was sollte ich darauf antworten? Ich bin hier, weil mir zuhause die Decke auf den Kopf fällt, nachdem meine Frau mich verlassen hat, weil ich Sex mit der Praktikantin unseres Fachbereichs hatte.
»Ich war früher oft hier«, antwortete ich stattdessen. »Hier habe ich mal die Talking Heads gesehen.«
Talking Heads – dieser Name löste etwas aus, nicht nur bei meinen Studenten. Jetzt hatte ich die volle Aufmerksamkeit, sogar bei der Barfrau, aber wollte ich das? Es machte mich zu dem, was ich auf
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