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Von der Nutzlosigkeit, älter zu werden

Von der Nutzlosigkeit, älter zu werden

Titel: Von der Nutzlosigkeit, älter zu werden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Heinzen
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ganze Consulting-Bullshit war leichter zu ertragen als diese Runde 49-jähriger Zombies.
    Ich wollte gerade die Kreide aus der Hand legen und die Sache beenden, als sich Michael meldete: »Tut mir leid, aber mir fällt zum Älterwerden einfach nichts Positives ein.«
    »Okay«, griff Andreas diesen Beitrag dankend auf, der sich in der Rolle des Provokateurs gefiel. »Dann sagen wir halt, was negativ ist am Älterwerden.«
    »Einfach alles!« brach es aus Ingrid heraus, der Frau, die man im Flughafen für einen Mann gehalten hatte.
    Wieder senkte sich Schweigen über die Runde, so durchdringend und unerbittlich, dass ich glaubte, aus der Ferne einen Torschrei zu hören. Dabei hatte das Spiel noch gar nicht angefangen.
    »Sorry, Leute«, erklärte ich, während ich meine Hände am Waschbecken in Unschuld wusch, »vielleicht ist das hier einfach ein Missverständnis …«
    »Und wenn wir überlegen«, unterbrach mich Beate, die OP-Schwester, »ob es irgendetwas Besonderes gibt, das unsere Generation geleistet hat? Ein Beitrag für die Gesellschaft, auf den wir stolz sein können, so wie unsere Eltern nach dem Krieg das Land wieder aufgebaut haben.« Beate griff in ihre Umhängetasche mit dem Logo einer Anti-Aids-Konferenz in Kapstadt und holte Info-Material heraus. »Solange ihr nachdenkt, lasse ich eine Spendenliste herumgehen. Ich engagiere mich für ein Projekt in Bangkok. Wir versuchen, Sex-Arbeiterinnen aus den Bordellen zu holen und ihnen eine Ausbildung zu ermöglichen, damit sie einen normalen Beruf ausüben können.«
Beate gab die Liste an Andreas weiter, der rechts neben ihr saß.
    Andreas warf einen kurzen Blick auf das Blatt und gab es Beate kopfschüttelnd zurück. »Ich soll für eine Infrarotkamera spenden, mit der ihr Sextouristen filmt, um sie ins Internet zu stellen?«
    »Man muss bei den Freiern anfangen«, erklärte Beate das Konzept, »wenn man die Prostitution zerschlagen will.«
    »Und was ist mit Persönlichkeitsrechten?«
    »Hast du Angst, dass dein Foto auch im Internet auftauchen könnte?!« stichelte Michael.
    »Ich bin oft in Bangkok. Aber nicht als Sextourist.« Andreas warf Michael einen giftigen Blick zu. »Beruflich. Und wenn man mit Thailändern einen Geschäftsabschluss feiert, geht man in eine Bar …«
    »… wo nackte, meist minderjährige Frauen wie Tiere in Käfigen gehalten werden!« ereiferte sich Beate.
    »Ich weiß nicht, in welchen Bars in Bangkok du verkehrst«, konterte Andreas, »aber da, wo ich feiere, tanzen die Mädchen an Stangen und sind auch nicht nackt.«
    »Aber hinterher vergeht ihr euch an ihnen und …«
    »Hinterher«, übertönte Andreas Beate, »zahle ich 500 Dollar für vier Cocktails. Davon lebt nicht nur die Bar mit ihren ganzen Angestellten, davon unterhalten die Mädchen ihre Familien.«
    »Du findest es also richtig, dass Frauen in der Dritten Welt sexuell ausgebeutet werden?!«
    »Dritte Welt?« wiederholte Andreas mit einem spöttischen Lächeln. »Ich dachte, wir hätten diese postkoloniale Terminologie aus unserem Wortschatz verbannt.«
    Scheiße, dachte ich. Ich könnte ein spannendes Fußballspiel sehen, stattdessen gefielen wir uns darin, uns gegenseitig nachzuweisen, dass der Andere weniger politisch korrekt war als man selbst.
    »Und was hat das alles mit dem Älterwerden zu tun?« fragte Ingrid, die Messe-Chefin, die sich die Zeit damit vertrieb, E-Mails auf ihrem BlackBerry zu schreiben.

    »Außerdem wollten wir überlegen, was unsere Generation Besonderes geleistet hat«, pflichtete Susanne ihr bei.
    »Wir haben uns alle scheiden lassen«, erklärte Andreas unter dem Gelächter der Gruppe.
    »Unsere Generation stellt den ersten schwulen Außenminister. « Diese Wortmeldung kam von Michael, und alle überlegten, ob ihm das so wichtig sei, weil er selber schwul war.
    »Wir reden offen über Sex«, sagte Susanne.
    »Und haben immer weniger«, kommentierte Ingrid trocken und erntete damit einen weiteren Lacher.
    Damit ich nicht der Einzige in der Runde war, dem nichts einfiel, erklärte ich, wir würden unsere Hemden über der Hose tragen, und zog erstaunte Blicke auf mich.
    »Ältere Männer wie mein Vater«, versuchte ich meine Theorie zu erklären, »stopfen ihre Hemden immer in die Hose, selbst T-Shirts und Polos. Müsst ihr mal drauf achten. Wir tun das als erste Männer-Generation nicht mehr.«
    »Wow!« kam es hinter Ingrids BlackBerry hervor. »Ein wesentlicher Beitrag zum Weltkulturerbe.«
    »Wir retten bedrohte Tierarten.« Beate

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