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Von der Nutzlosigkeit, älter zu werden

Von der Nutzlosigkeit, älter zu werden

Titel: Von der Nutzlosigkeit, älter zu werden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Heinzen
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alle vier Wochen blicken zu lassen. Was aber niemand tun würde, wenn es dem alten Vater oder der alten Mutter gut ginge.
    Wenn ich dann ins Altenheim komme, sitzt mein Vater mit ein paar Damen – weil die Lebenserwartung der Männer deutlich kürzer ist, leben im Altenheim fast nur Frauen – im Garten, und alle reden gleichzeitig. Was nicht weiter stört, weil keiner dem anderen zuhört. Die alten Damen himmeln meinen Vater alle an. Man glaubt es kaum, aber nicht die Hoffnung stirbt zuletzt, sondern die Libido. Dann habe ich nicht den Eindruck, dass es meinem Vater schlecht geht. Er lacht sogar. Aber sofort, wenn er mich entdeckt, verdüstert sich seine Miene. Vielleicht muss er das einfach tun, wie ich früher immer so getan habe, als seien meine Eltern eine Zumutung. War übrigens bei David nicht anders, als er in die Pubertät kam. Wir hatten das schönste Gespräch, während ich ihn zum Fußball fuhr, aber wenn ich ihn am Sportplatz absetzte, tat er plötzlich so, als wäre ich sein Chauffeur.

    Kommen wir zum letzten Punkt der Mail, der mich am meisten ärgerte: neue Pflegemittel. Warum kaufte das Altenheim nicht im Großhandel eine ganze Palette mit Shampoo, Rasierschaum und Gebissreiniger, was viel billiger wäre, und verteilte es an die alten Leute? Das könnten sie genauso auf die Rechnung setzen wie Unterkunft, Verpflegung, Krankengymnastik und Anti-Demenz-Training. Kostet übrigens mehr, als wir monatlich gemeinsam mit unserem Haushalt verbrauchen, selbst als die Kinder noch bei uns wohnten. Aber ich rede ja schon wie der »Ayatollah«, der mit seinem Vorschlag über den sozialverträglichen Abgang mit 50 einen nicht unwesentlichen Beitrag zur Gründung unserer Selbsthilfegruppe geleistet hatte. Außerdem würde ich das alles ganz anders sehen, wenn ich eines Tages selbst Windeln tragen und darauf warten werde, dass mir die Pflegerin das Schinkenbrot in kleine Häppchen schneidet – wie früher, wenn ich zu Besuch bei der Oma war.
    Dabei muss es gar nicht so weit kommen, nicht nur wegen der japanischen Pflegeroboter. Wir sind die Best Ager! Wir werden anders alt, nämlich gar nicht. Natürlich werden wir immer älter, aber das muss nicht zwangsläufig bedeuten, dass wir solche Gespenster werden wie mein Vater und die Damen aus der Demenz-Gruppe.
    Ich bin jetzt Ende 40. Trotzdem trage ich immer noch Jeans und T-Shirts, selbst im Institut. Und ich habe mich letztens dabei ertappt, wie ich eine CD von David bis zum Anschlag aufdrehte, als ich auf der A8 im Stau stand und den Song lauthals mitsang: »Fuck, fuck, motherfuck fuck …«
    Der Text war nicht besonders einfallsreich, aber seltsamerweise entsprach er genau meinem Lebensgefühl. Ich ließ alle vier Fenster heruntersurren, um die anderen Autofahrer an meinem Musikgenuss teilhaben zu lassen: Geht es euch nicht genauso, Leute? Was machen wir hier eigentlich? Wir stehen im Stau, wie jeden Morgen, um zur Arbeit zu fahren, die uns keinen Spaß macht. Dafür verballern wir die letzten fossilen Energiereserven und heizen weiter den Planeten auf.
Warum lassen wir nicht einfach unsere Autos auf diesem gigantischen Parkplatz namens Autobahn stehen, gehen nach Hause und verwirklichen uns selbst?!
    Die anderen Autofahrer ließen ihre Fenster hochsurren und taten so, als würden sie mich nicht bemerken. Sie waren übrigens alle jünger als ich und trugen Hemden mit Krawatte wie Holger.
     
    Wir würden anders alt werden. Erstens waren wir viel länger jung als unsere Eltern, die mit Erreichen der Volljährigkeit eine Familie gründeten und Verantwortung übernahmen, während wir noch Parteien mit lustigen Namen wählten und unsere Haare blond färbten. Und ganz nebenbei, auch wenn das ein Argument ist, das Martina nicht gefallen würde: Warum hatte ich als Mann von fast 50 eine Chance bei Dorata? Weil mein Body-Mass-Index knapp über 20 liegt und mein Ruhepuls bei lockeren 60 Umdrehungen. Wir sind gutgepflegte Garagenwagen. Uns hat kein Krieg die Zähne gezogen, kein Hunger hat an uns genagt. Wegen unserer verlängerten Pubertät begannen wir erst zu arbeiten, als die Generation unserer Eltern das halbe Erwerbsleben schon hinter sich hatte. Wir sind mit Fluor-Tabletten aufgewachsen und gehen regelmäßig zur Krebs-Vorsorgeuntersuchung. Computertomographen spüren sämtliche Haarrisse in unseren Gelenken auf, die wir uns bei den Risiko-Sportarten zuziehen, mit denen wir uns aus unserem undramatischen Leben beamen. Und wenn wir beim Tauchen vor Sansibar zu

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