Von der Nutzlosigkeit, älter zu werden
für einen guten Zweck spenden, meldete sich die dritte Frau zu Wort, die sich bisher angenehm zurückgehalten hatte. Sie engagiere sich für ein Projekt, in dem Frauen aus dem Gaza-Streifen und Israel den Dialog suchen würden. Fluchen für den Frieden? mailte der Raucher und schaffte es mit dieser Bemerkung mühelos, dass sich die drei Frauen gegen ihn solidarisierten: Du scheinst nicht nur ein Problem mit deinem Alter zu haben.
Leckt mich doch am Arsch, ihr Scheiß Emanzen! bollerte der Raucher zurück. Und sagt mir, wo das verfickte Sparschwein steht, damit ich mit Vergnügen die verdammten 15 Euro reinwerfen kann!
Offenbar kannst du auch nicht rechnen , kam es zuckersüß aus der Frauenecke zurück, es sind 20 Euro.
So lief alles darauf hinaus, dass unsere Gruppe schon vor dem ersten Treffen scheiterte, weshalb ich tat, was ich unbedingt
vermeiden wollte: Ich übernahm die Leitung und schlug als Treffpunkt einen Seminarraum in unserem Institut vor, den die Studenten »Altentagesstätte« nennen, weil man sich keinen trostloseren Ort vorstellen kann. Und zwar Samstagmittag um eins. Wir könnten alle ausschlafen und trotzdem später Bundesliga gucken, wobei es mir inzwischen egal war, ob die Bayern wieder Meister würden. Ich wurde wirklich alt.
7
1 . Nichts dringt nach außen! 2 . Wir googeln uns nicht gegenseitig! 3. Kein Kontakt zwischen den Treffen! 4. Handys aus!
Ich kam eine Viertelstunde vor der vereinbarten Uhrzeit ins Institut und checkte mit einem Winkelmesser, den ich mir beim Hausmeister geliehen hatte, die Neigung der Stuhllehnen. Dann schob ich zwei Tische zusammen und stellte sechs Stühle herum. Aber eine dünne Frau im Jogginganzug, die als Erste kam, meinte, wir sollten auf die Tische verzichten, damit sich keiner dahinter verstecken könne. Was ehrlich gesagt meine Absicht war, denn nach der anfänglichen Euphorie bekam ich plötzlich Schiss, vor wildfremden Menschen mein Herz auszuschütten. Bevor ich reagieren konnte, schob die Frau im Jogginganzug schon die Tische beiseite und stellte die Stühle im Kreis auf. Unterstützt wurde sie dabei von einem Mann mit langen Haaren, die er mit einem Gummi zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden hatte und in denen sich erstes Grau zeigte. Dann kamen eine ziemlich attraktive Blondine mit einem großzügigen Dekolleté und eine Frau mit kurzen Haaren in einem grauen Businesskostüm, die mit vorwurfsvollem Gesicht die Fenster öffnete, weil es hier so streng riechen würde. Jetzt nahm auch ich den scharfen Geruch wahr. War das der Geruch des Alters? Inzwischen waren in der »Altentagesstätte« fast 250 Jahre versammelt.
Nachdem ich der Frau im Businesskostüm klarmachen konnte, dass von den Lehnen keine Gefahr für ihren Rücken ausging, nahmen alle schweigend auf den Stühlen Platz, von denen einer frei blieb, und schauten mich erwartungsvoll an.
Also doch! Auch wenn es hier keine Erdnüsse und kein Bier gab, sondern nur das Ticken der Wanduhr, die uns unerbittlich klarmachte, dass unsere Zeit ablief, war ich der Gastgeber. Alle erwarteten von mir, dass ich die Initiative übernahm und unser Treffen eröffnete.
»Ich heiße Thomas«, ergriff ich das Wort, »und werde am 20. August 50 Jahre alt!«
»Wie bei den Anonymen Alkoholikern«, kommentierte die Blondine und brach mit ihrem Scherz das Eis.
Reihum stellten sich alle kurz vor: Der langhaarige Michael erklärte mit einem ironischen Lächeln, er sei »professioneller Espresso-Trinker«. Ingrid, die Frau mit dem Bandscheibenvorfall, war Geschäftsführerin der Münchner Messegesellschaft. Susanne, die Frau mit dem Dekolleté, versuchte nach 27 Jahren Ehe und der Aufzucht von vier Söhnen sich selbst zu finden. Beate, die die Idee mit dem Stuhlkreis hatte, arbeitete als OP-Schwester im Klinikum Großhadern. Ich war der Einzige in der Runde, der noch mit seinem Ehepartner zusammen lebte, jedenfalls bis vor zwei Wochen. So unterschiedlich die Biographien auch waren – gemeinsam war uns allen die Angst vor dem 50. Geburtstag.
Es entstand eine lebhafte Diskussion, die von Michael dominiert wurde, der Deutschlehrer war, bevor er ein paar Häuser geerbt und sich mit 45 zur Ruhe gesetzt hatte. Michael argumentierte, unsere Angst vor dem 50. Geburtstag reflektiere eine schleichende gesellschaftliche Missachtung des Alters. Dieser »Altersrassismus« sei ein europäisches Phänomen. In China würde das Alter geschätzt als Hort der Weisheit, worauf der dicke Mann im Anzug, der jetzt mit einem
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