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Von der Nutzlosigkeit, älter zu werden

Von der Nutzlosigkeit, älter zu werden

Titel: Von der Nutzlosigkeit, älter zu werden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Heinzen
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Richtung Abgrund wanderten. Sie wusste nicht, dass man die kleinen roten Tasten an der Rückseite des Verstärkers nach unten drücken muss, um die Kabel zu lösen, was ich tat, Millimeter, bevor die Boxen auf den Boden knallten.
    Statt sich für meine Rettungstat zu bedanken, ließ Martina nun ihren Blick über den Couchtisch schweifen und fragte mich: »Warum bietest du deinen Gästen nicht etwas Ordentliches an?«
    Bevor ich antworten konnte, wandte sich Martina lächelnd an meine Gruppe: »Wenn man ihn allein lässt, ist mein Mann wie ein Kind. Er kann sich nicht mal selbst ein Butterbrot schmieren. Er würde glatt verhungern. Zum Glück hat diese Praktikantin, mit der Tommy jetzt zusammen ist, eine Zeit lang bei McDonald’s gearbeitet. Aber sicher hat er Ihnen das längst alles erzählt, und ich langweile Sie.«
    »Ganz im Gegenteil«, erwiderte Susanne. »Tommy hat nur über den Kommunismus geredet.«
    Das war gut gemeint, aber ich hätte Susanne den Hals umdrehen können, die jetzt aufstand und einen weiteren Stuhl holte, damit Martina sich unserer Runde anschließen könnte, was diese dankbar annahm.
    »Ihr trefft euch also, weil ihr Angst vor dem 50. Geburtstag habt?«
    Alle nickten.
    »Ich habe noch drei Jahre Zeit bis zu diesem magischen Datum. Aber da mein Mann eine Affäre mit seiner Praktikantin angefangen hat, besitzt diese Problematik auch für mich eine gewisse Aktualität.«
    Andreas hielt eine Bierflasche hoch und fragte, ob Martina auch einen Schluck wollte, aber die erklärte, sie würde
erst nach Sonnenuntergang trinken, was sie jetzt bräuchte, sei ein Cappuccino. Dann fragte sie mich mit einem zuckersüßen Blick: »Wärst du so lieb, Tommy? Aber mit Milch, statt mit Sahne. Sonst noch jemand ohne Fahrschein?!«
    Meine Selbsthilfegruppe ließ sich das nicht zwei Mal sagen, sodass ich einen Zettel holen musste, um die ganzen Bestellungen zu notieren – war das nicht irgendwie gegen die Regeln? Ich verschwand in der Küche, wo ich mir vor lauter Wut über Martina die Finger verbrannte an der Scheiß Dampfdüse, während die Stimmung im Wohnzimmer immer besser wurde. Jedenfalls kamen in Wellen immer wieder Lacher herüber. Sicher lachten sie über mich.
    Was konnte ich tun, um diesem Treiben ein Ende zu bereiten, da ich wohl nicht auf die Außerirdischen hoffen konnte. Das Altenheim! Was wäre, wenn es meinem Vater schlecht gehen würde? So schlecht, dass ich sofort zu ihm fahren müsste? Ich rief über mein Handy aus der Küche unsere Festnetznummer an, rannte in den Flur, bevor Martina den Hörer abnehmen konnte, richtete kurze Ausrufe der Besorgnis wie Gefallen? Im Bad? Notarztwagen?! Richtung Wohnzimmer, versprach, sofort zu kommen, und erklärte mit bedauerndem Blick, ich müsste leider weg. Mein Vater wäre im Altenheim gestürzt. »Zieht einfach die Tür zu, wenn ihr geht …«
    »Kein Stress, Tommy«, unterbrach mich Ingrid und stand vom Sofa auf. »Ich muss auch los. Morgen früh darf ich bei unserem Vorstand antanzen. Die neuen Quartalszahlen, und die sind alles andere als rosig.«
    Auch die anderen erhoben sich.
    »Wann sehen wir uns wieder? Und bei wem?« versuchte ich die Fassade zu wahren, auch wenn ich beschlossen hatte, nach Martinas peinlichem Auftritt nie wieder zu den Treffen unserer Selbsthilfegruppe zu gehen.
    »Von mir aus bei mir«, schlug Ingrid vor. »Donnerstag, 20 Uhr? Aber seid bitte pünktlich. Ich kann nicht so lange, weil ich am Freitag mit dem ersten Flieger nach Mailand muss.«

    Einer nach dem anderen verabschiedete sich. Die Männer klopften mir aufmunternd auf die Schulter, die Frauen umarmten mich so fest, als würden sie mich nie mehr wiedersehen. Nachdem die Wohnungstür hinter Andreas, der mir leise zuraunte, bloß nicht klein beizugeben, ins Schloss fiel, war es für einen Moment vollkommen still. So still, dass ich hören konnte, wie meine Selbsthilfegruppe gegen Regel Nummer drei verstieß und lachend das Haus verließ.
    »Musst du nicht zu deinem Vater?« brach Martina das Schweigen.
    Ich machte eine wegwerfende Handbewegung, und Martina begriff, dass ich den Sturz im Bad nur erfunden hatte.
    »Warum hast du mich nicht gewarnt, Thomas?«
    »Warnen? Vor was?« Ich wusste genau, was Martina meinte, aber ich wollte Zeit gewinnen.
    »Warum hast du mir diesen peinlichen Auftritt nicht erspart? «
    »Tut mir leid! Aber woher sollte ich wissen, dass du vorbeikommst? «
    »Warum rufst du nicht an?«
    »Ich soll dich anrufen, dass du zu einer bestimmten Zeit

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