Von der Nutzlosigkeit, älter zu werden
Blues von Bob Dylan ist und nicht The Message von Grandmaster Flash & the Furios Five ? Wobei meine ehemaligen Schüler das nur noch als Coverversion von Ice Cube kennen.«
»Nein, wusste ich nicht. Warum hast du aufgehört?«
»Womit?«
»Mit dem Unterrichten. Ich meine, die Kids müssen das doch interessant finden, was du über Popmusik weißt.«
»Das interessiert die einen Scheißdreck. Darf man hier rauchen?«
Eigentlich nicht, aber ich wollte verhindern, dass Michael seinen Vortrag unterbrach, um auf dem Balkon eine Zigarette zu rauchen.
»Ist bei meinen Studenten nicht viel anders«, erklärte ich, während ich Michael den Aschenbecher herüberschob, den ich bei der Tombola im Altenheim gewonnen hatte. »Die wollen nicht wissen, warum der Neorealismus in Italien entstanden ist, oder welche Verbindung es zwischen Doktor Caligari und Adolf Hitler gibt. Die wollen nur wissen, wie man Karriere macht.«
»Könnte es sein, dass unsere Väter genauso über uns geredet haben?«
Wir lachten, während Michael auf eine ziemlich coole Art, die mich ein bisschen neidisch machte, die brennende Zigarette zwischen Steg und Saiten seiner Gitarre klemmte, damit er die Hände zum Spielen frei hatte, und mit überraschend rauer Stimme zu singen begann:
»Once upon a time you dressed so fine. You threw the bums a dime in your prime, didn’t you …«
Wenn ich etwas wirklich noch mal anders machen würde in meinem Leben, dachte ich mit aufsteigender Wehmut, während ich Michael zuschaute, wie er Like a Rolling Stone spielte, würde ich Gitarre lernen. Nicht um Groupies flachzulegen und Fernseher aus dem Ritz Carlton zu werfen. Nein, ich wäre gern Mitglied in einer Band. Selbst wenn es I never
had Sex with Miss Lewinsky wären. Ich wäre Teil des Sounds so wie jetzt, da wir beide in die Jahre gekommenen Männer in meinem Wohnzimmer voller Gegenstände, die ich verachtet hatte, als ich den Song zum ersten Mal im Radio hörte, zusammen den unvergleichlichen Refrain sangen:
»How does it feel. How does it feel. To be without a home. Like a complete unknown. Like a rolling stone …«
Wir beide sangen mit solcher Inbrunst, dass wir nicht merkten, dass es geklingelt hatte. Als ich endlich öffnete, standen alle Mitglieder der Selbsthilfegruppe vor meiner Wohnungstür.
»Wollt ihr uns was vorspielen?« fragte Ingrid spitz, die bestimmt in ihrem Leben noch nie auf einem Rockkonzert war und sich deshalb nicht wundern darf, wenn die Security im Flughafen sie für einen Mann hält.
Beate konnte es sich nicht verkneifen, auf Regel Nummer drei hinzuweisen: »Kein Kontakt zwischen den Treffen!«
Ich erklärte, dass Michael in der Gegend war und ich ihn schlecht im Regen auf der Straße stehen lassen konnte. »Wisst ihr eigentlich, dass der erste Rap-Song …«
»Schon okay, Thomas«, unterbrach mich Michael, während er seine Gitarre wieder einpackte. »Ich bin fast 50 Jahre alt, aber ich war nie in einer Selbsthilfegruppe. Nicht einmal als es mir echt dreckig ging, nachdem ich mit dem Unterrichten aufgehört hatte. Und ich weiß auch, warum: Weil ich keine Lust habe, mich als erwachsener Mann dafür rechtfertigen zu müssen, gegen Regel Nummer drei verstoßen zu haben.« Michael drückte seine Zigarette in meinem Tombola-Gewinn aus, wobei mir erst jetzt auffiel, dass es die ausgestopfte Hand eines Orang-Utans war. »Ich gehe zu meiner Band.« Michael ließ die Verschlüsse seines Gitarrenkoffers zuschnappen. »Sie heißt T & B . Wollt Ihr wissen, was das bedeutet?«
Bestimmt nichts Gutes, schoss es mir durch den Kopf, weshalb ich Michael Zeichen machte, es nicht zu sagen.
» Titties and Beer «, ließ er es sich nicht nehmen, Öl ins Feuer zu gießen, um dann noch eins draufzusetzen, bevor er
hocherhobenen Hauptes aus meiner Wohnung marschierte: »Ihr habt deshalb Angst vor dem Alter, weil ihr niemals jung wart.«
Es war Susanne, der es gelang, Michael zu überzeugen, unserer Selbsthilfegruppe noch eine Chance zu geben, wobei ich nicht weiß, ob es ihre Argumente waren oder ihr Dekolleté.
»Chruschtschow oder Chromosomen?« begann ich meinen kleinen Vortrag und erwartete, dass es hier den ersten Lacher geben würde. Ich meine, darauf muss man erst mal kommen! Aber niemand lachte, stattdessen fragte Susanne, wer oder was Chruschtschow sei.
Ich erklärte, dass Nikita Chruschtschow von 1953 bis 1964 Generalsekretär der KPdSU war.
»Und was ist die KPdSU?«
»Du weißt aber, was Kommunismus ist?« gab ich gereizt
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