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Von der Nutzlosigkeit, älter zu werden

Von der Nutzlosigkeit, älter zu werden

Titel: Von der Nutzlosigkeit, älter zu werden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Heinzen
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ein. Sie zeigt gerade das Video einer alten Bäuerin, die Butter schlägt. In einem Butterfass. Das ist ein langer Prozess. Natürlich, so Emma, könnte man die Butter auch im Supermarkt kaufen, wäre sogar billiger, wenn man die Arbeitszeit berechnet. Aber darum geht es nicht. »Während man die Butter schlägt, hat man viel Zeit, um nachzudenken.«

    »Solange du mit der Hand, mit der du keine Butter schlägst, eine SMS versenden kannst«, versuche ich durch einen Scherz zu provozieren, was mir auch gelingt.
    »Ich weiß gar nicht, was die Ironie soll?!« schaltet sich Felix in die Diskussion ein, der die ganze Zeit mit seinem Handy beschäftigt ist.
    »Habt ihr schon mal auf einem Bauernhof gearbeitet?« frage ich die Runde.
    »Nein«, meldet sich Kyoko, die wie eine Figur aus einem japanischen Manga aussieht. »Würde ich aber gerne mal.«
    »Warum?«
    »Weil sich das bestimmt gut in meiner Vita macht.«
    Das ist der Unterschied zwischen mir und meinen Studenten, denke ich, nicht das Alter. Während wir früher – wie das klingt: früher – mit dem VW-Bus nach Indien fuhren, um uns selbst zu finden, sammeln meine Studenten »Credit Points«.
    David war letztens für ein Projekt seiner Uni zum Klimawandel in Norilsk, Sibirien. Die Nickel-Fabrik dort gilt als größter Einzelluftverschmutzer der Welt. Es war Winter, wobei auch in den kurzen Sommern die Temperaturen selten über den Gefrierpunkt steigen. In Norilsk, hat mir David nach seiner Rückkehr erzählt, gibt es keine Farbfilme zu kaufen. Lohnt sich nicht, dafür Geld auszugeben, weil es in der Stadt keine Farben gibt. Über Couchsurfing konnte David bei einem Kriegsinvaliden wohnen. Couchsurfing ist eine weltweite Kontaktbörse im Internet, wo Leute kostenlos einen Platz zum Übernachten anbieten. David teilte sich das Bett mit einem Veteranen des Großen Vaterländischen Krieges, der beim Sturm auf Berlin ein Bein verloren hatte. Er trug eine Prothese, die er nachts abschnallte und neben das Bett stellte. Wenn er genug Wodka getrunken hatte, dachte er, David sei seine verstorbene Frau, und wurde zärtlich. Für mich klang das wie Probeliegen im Gulag, während es für David darum ging, einen Leistungsnachweis zu sammeln, der es ihm ermöglichen würde, seinen Master in Paris an der Sorbonne zu machen.

    Inzwischen zeigt Emma ein Video des »Lindenhofs«, der einzigen Kneipe des Dorfes, in dem ihr Film spielen soll: Ein paar rotgesichtige Typen in Unterhemden sitzen an der Theke und blicken feindselig in die Kamera. »Sind die nicht süß?!« begeistert sich Emma.
    »So süß wie Pitbulls«, rutscht mir heraus, während ich mich immer mehr ärgere. Aber warum? Weil diese Generation nicht mehr die Welt verändern will, sondern nur noch sich selbst?
    Ich lasse die Jalousien heraufsurren, damit das Tageslicht meine Studenten erleuchtet. »Warum spielen eure Filme immer in der gottverdammten Eifel?!«
    »Ich würde auch im Schwarzwald drehen«, erwidert Emma, »aber weil ich aus Köln stamme, würde ich für den Schwarzwald keine Förderung bekommen.«
    Typisch meine Studenten, immer so pragmatisch.
    »Schon klar«, versuche ich Emma in die Enge zu treiben, »aber für was ist die Eifel eine Metapher?«
    »Muss denn alles eine Scheiß Metapher sein?« meldet sich Oliver zu Wort. Oliver leidet darunter, dass er nicht im Getto aufgewachsen ist, sondern in Grünwald, weshalb er jedes Substantiv mit dem Wort Scheiß anreichert.
    »Wie wollt ihr Filme machen«, setze ich nach, »ohne mit Symbolen und Metaphern zu arbeiten, über die ihr mit dem kollektiven Unbewussten eurer Zuschauer kommuniziert?«
    »Das ist doch das alte Jahrtausend.« Wenn es eine Sportart gäbe, wie man sich gelangweilt auf einem Stuhl herumfläzt, ohne herunterzufallen, wäre Alex der Champion. »Freud und der ganze Scheiß, die Psychoanalyse.«
    »Was ist mit Rosebud ?« suche ich Zuflucht bei Orson Welles, einem meiner Heroen.
    »Ja, was ist mit Rosebud«, greift Kyoko, das Manga-Girl, meinen Gedanken auf. » Citizen Kane ist einer meiner Lieblingsfilme, aber nicht, weil der kleine Charles Foster Kane traumatisiert wird, als man ihm seinen Schlitten wegnimmt, sondern weil das einfach ein total krasser Style ist.«

    »Bist du sicher?« gehe ich zum Angriff über. »Letzte Woche hast du uns noch erzählt, wie schlimm es für dich war, als dein Vater starb.«
    Das ist nicht fair von mir, ich weiß. Das hier ist ein Drehbuchseminar und keine Gruppentherapie. Aber ich will, dass Kyoko sich dazu

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