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Von der Nutzlosigkeit, älter zu werden

Von der Nutzlosigkeit, älter zu werden

Titel: Von der Nutzlosigkeit, älter zu werden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Heinzen
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nicht vorbeikommen darfst, obwohl ich gar nicht weiß, ob und wann du vorbeikommen willst? Außerdem hast du gesagt, du wolltest mich nie mehr wiedersehen. Deshalb soll ich dich nicht mehr anrufen. Und du rufst doch auch nicht an, wenn’s meinem Vater nicht gut geht.«
    »Ich habe dir eine Mail geschickt.« Martina ließ sich aufs Sofa fallen und schaufelte Erdnüsse in sich hinein, obwohl sie eigentlich keine Erdnüsse mag.
    »Warum schickst du eine Mail, statt anzurufen? Ist das billiger?«
    Was für ein jämmerlicher Dialog. Dabei tat ich doch den ganzen Tag nichts anderes, als Paare mit geschliffenem Wortwitz die Klinge kreuzen zu lassen. Weshalb ich mich an die Dialoge in meinem letzten Film zu erinnern versuchte, der Nina und Holger so gut gefallen hatte.

    »Du musst loslassen können, um gehalten zu werden.«
    »Zitierst du dich jetzt selbst?«
    »Ich habe das alles nicht gewollt«, bat ich um Verständnis, während ich mich zu Martina aufs Sofa setzte.
    »Ach, ja?« Martina rückte von mir ab, als hätte ich Lepra. »Und warum gründest du eine Selbsthilfegruppe, anstatt deine Probleme mit mir zu besprechen?«
    »Hat Jorgos auch vorgeschlagen.«
    »Du hast mit Jorgos telefoniert?«
    »Ich habe meine Geburtstagsparty abgesagt.«
    »Warum?«
    »Weil meine Familie mir das Gefühl gibt, ein Monster zu sein. Dabei bin ich nur ein Mann, der aus der Zeit gefallen ist.«
    »Ist das auch aus einem deiner blöden Filme?«
    Normalerweise hätte mich diese Bemerkung gekränkt, jetzt machte sie mir Hoffnung. Wir schauten uns an. Martinas Hand lag Zentimeter von meiner entfernt, zum Greifen nah. Einfach die Augen schließen und den Schritt über den Abgrund wagen – machte ich mir Mut. Sie würde ein paar Tage lang nicht mit mir reden, und ich müsste auf dem Sofa schlafen, aber bis zum 20. August wäre alles wieder in Ordnung. Wir würden mit Nina und David nach Kreta fliegen und alle zusammen bei Jorgos …
    Ich war fast schon auf der anderen Seite des Abgrunds angekommen, als Martinas Handy klingelte. Die Hand, die ich gerade ergreifen wollte, wanderte Richtung Tasche und kramte nach dem Handy, das The Girl from Ipanema spielte.
    »Sammy!« Ein entschuldigender Blick zu mir. »Habe mich festgequatscht. Bin gleich da. Kaufst du schon die Tickets?!«
    Martina schaltete das Handy ab und stand auf. »Ich muss los!«
    Ich brachte sie zur Tür, wo sie mir einen Kuss auf die Wange gab. Vor einer Minute hätte ich für diesen flüchtigen Kuss wer weiß was gegeben, sogar meine 5.000-Euro-Boxen. Aber jetzt wischte ich ihn mir von der Wange, weil ich genau
spürte, dass dieser Kuss nicht mir galt, sondern »Sammy«. Aber wer war Sammy? Es gab in unserem Freundeskreis keinen Sammy.
    Ich war schon dabei, mein Jackett anzuziehen, um Martina heimlich zu folgen, deren unternehmungslustige Schritte einen treibenden Beat auf die Treppe trommelten. Auf dem Weg zu Sammy. Doch ich zog das Jackett wieder aus. So tief wollte ich nicht sinken. Bevor ich ein Stalker würde, wäre ich lieber Alkoholiker.
    »Weiß oder rot?« redete ich laut mit mir selbst, als ich vor dem Weinregal in der Speisekammer stand. »Rot«, entschied ich mich. Ich würde erst den Merlot trinken und dann – als Absacker – den Grauburgunder.

11
    Julia, 25, ist auf dem Sprung nach Singapur, um dort bei einer Bank zu arbeiten. Plötzlich stirbt ihr Vater. So kommt Julia zurück in das kleine Dorf in der Eifel, in dem sie aufgewachsen ist. Hier trifft sie ihre Jugendliebe wieder, und zwei Welten prallen aufeinander: Der Bauer und die Yuppie-Frau. Julia begreift, dass dies ihre Heimat ist. Der Flieger nach Singapur startet ohne sie …
     
    Jeden Donnerstagmorgen stellt einer meiner Studenten die Idee für seinen Abschlussfilm vor. Reihum in einem »Pitch« – das ist nicht mehr als eine halbe Seite, aus der klar wird, wer die Hauptfigur ist und um welches Genre es sich handelt. Dazu können die Studenten Fotos oder Videos zeigen, wie sie sich den Look ihres Films vorstellen. Auch Emma machte von dieser Möglichkeit Gebrauch und zeigte uns ein Video aus dem Eifeldorf, wo ihre Geschichte spielen soll: Vierschrötige Bauern, die mit ihren wortkargen Statements meine Studenten zum Lachen brachten, während mir das Lachen immer mehr verging.
    Ich mache diesen Job jetzt seit zwei Jahren, habe Dutzende solcher Pitches gehört und mich zurückgehalten, obwohl das Erzählschema immer gleich ist: Der Held verlässt seine Komfortzone, geht in eine fremde Welt, verändert

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