Von der Nutzlosigkeit, älter zu werden
sich, erreicht sein Ziel und kehrt gereift zurück. Geschenkt – das ist die Erfolgsformel, die nicht nur meinen Studenten, sondern Filmstudenten auf der ganzen Welt beigebracht wird. Aber warum muss es immer die Eifel sein? – fragte ich mich, während ich spürte, wie Ärger in mir hochstieg, den ich nicht gebändigt bekam. Warum verzogen sich meine Studenten mit ihren Geschichten in den letzten Winkel der Provinz, statt sich mit den Themen zu beschäftigen, die uns wirklich unter den Nägeln brennen: Terrorismus, Fundamentalismus, Klimawandel, Arbeitslosigkeit, Euro-Krise. Und wenn sich meine Studenten schon nicht für die globalen Zusammenhänge interessierten, warum nicht wenigstens für die Themen, die ihre persönliche Zukunft betreffen? Die ernüchternde Erfahrung,
dass niemand sie braucht, auch wenn Jugendlichkeit in unserer Gesellschaft zu einem Fetisch geworden ist. Wobei Jugendlichkeit ein Diktat ist, das sich an alle richtet und nicht länger eine Eigenschaft der Jungen ist, die trotz ihrer Jugend ziemlich alt aussehen.
Nicht nur meine Studenten, sondern auch David und die ganzen anderen jungen Leute müssten doch sauer sein, ziemlich sauer sogar, weil wir Arrivierten uns in eine Wagenburg aus Pendlerpauschale, Erziehungsurlaub und Kündigungsschutz zurückgezogen haben und von innen die Türen zuhalten, um die Jungen nicht hineinzulassen. Wir erfinden immer wieder neue Gründe, um »Nein« zu sagen: Ein Jahr an einer Uni im Ausland würde sich gut im Lebenslauf machen. Also gehen die jungen Leute nach Madrid. China ist die Weltmacht des neuen Jahrtausends, so wird noch ein Praktikum in Peking drangehängt. Aber die Unternehmen wollen keine Karrieristen, sondern Mitarbeiter, die sich dem Gemeinwohl verpflichtet fühlen. Also auf nach Kolumbien, wo man mit Straßenkindern ein Theaterprojekt macht. Computerkenntnisse können auch nicht schaden. Zwei Monate Programmierkurs in Bangalore, Indien. Inzwischen ist der Lebenslauf ein bisschen zu global ausgerichtet. Vor dem Berufseintritt könnte es nicht schaden, den heimischen Markt besser kennenzulernen. Auch ein Master-Abschluss macht sich gut, allerdings nicht in einem weiteren naturwissenschaftlichen Fach. Moderne Firmen mögen es, wenn ihre Mitarbeiter einen Klee von einem Klimt unterscheiden können …
Ich breche das hier mal ab, aber es ist klar, wo das Problem liegt: Es gibt keine verlässlichen Kriterien mehr, welche Dokumente die Einreise in die Welt der Arbeit garantieren. Es scheint eher so zu sein, dass die ganzen Zusatzausbildungen, Praktika und Auslandsaufenthalte, die Mittelklasse-Eltern wie Martina und ich finanzieren, nur dazu da sind, um die jungen Leute weichzukochen. Bis sie irgendwann das Handtuch werfen und sagen: Scheiß auf das Privileg, für ein Blue-Chip-Unternehmen schuften zu dürfen, ohne Freizeit, ohne Freunde,
ohne die Chance auf Kinder und Familie. Scheiß einfach drauf. Ich werde Hartz-IV-Empfänger und spiele Gitarre .
Das bürgerliche Bildungsversprechen – sei fleißig, mache Abitur und studiere, dann bekommst du einen sicheren Job, von dem du leben und eine Familie gründen kannst – wurde gebrochen. Es galt schon nicht mehr bei mir, nur wusste ich das damals noch nicht, und ich musste auch nicht mit meiner Magisterarbeit mit Kollegen aus der ganzen Welt konkurrieren. Wie meine Studenten heute, deren Abschlussfilme auf internationalen Festivals laufen. Weshalb ich es erst recht nicht verstehen kann, dass es immer die Eifel ist oder Mecklenburg-Vorpommern.
Während diese Regionen in den Nachrichten nur als schwarze Schafe auftauchen, weil es hier zu wenig Arbeitsplätze und zu viele Transferleistungsempfänger gibt, machen sich meine Studenten mit großer Begeisterung auf die Reise in diese vergessenen Landschaften, um dort zu finden, was sie in ihrer digitalen Welt vermissen: eine intakte Natur, wenn man die Windräder später beim Schnitt wegretuschiert, bodenständige Menschen, wenn man den hohen Anteil von Wählern rechter Parteien vernachlässigt, und eine lebendige Gemeinschaft, wenn man sexuellen Missbrauch unter Folklore abhandelt. Aber das scheint meine Studenten nicht abzuschrecken. Im Gegenteil: Sie stürzen sich mit einer Begeisterung auf diese kargen Landstriche, die die Globalisierung vergessen hat, als sei hier der goldene Ball ihrer Kindheit vergraben, den sie verloren haben, als sie ihr erstes YouTube-Video hochluden.
»Warum spielt deine Geschichte in der Eifel?«
Emma geht auf meine Frage nicht
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