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Von der Nutzlosigkeit, älter zu werden

Von der Nutzlosigkeit, älter zu werden

Titel: Von der Nutzlosigkeit, älter zu werden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Heinzen
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ändern kann?
    Ich muss lange nachgedacht haben, denn meine Studenten schauten mich besorgt an, ob der Alte eigentlich noch mitbekam, was hier abging? So hatte mich noch nie jemand angeschaut. Es war der Blick, mit dem ich meinen Vater anschaue, wenn ich ihn im Altenheim besuche und er mich nicht erkennt.
    »Warum die Scheiß Eifel?« griff Emma meine Frage auf und gab sich selbst die Antwort. »Weil da nicht ständig ein Handy nervt. Weil es nicht wichtig ist, wie viele Freunde du auf Facebook hast. Weil niemand dich googelt, bevor er dich trifft. Weil du auch mit 20 Kilo Übergewicht beim Feuerwehrball zum Tanzen aufgefordert wirst …«
    »Und weil Heimat gerade Konjunktur hat«, grätschte ich dazwischen.
    »Ja, und?« erwiderte Emma ruhig. »Warum soll ich ein Projekt entwickeln, das keine Aussicht auf Realisierung hat?«
    Eine einfache Frage. Hätte auch Holger stellen können: Warum soll man etwas tun, ohne einen persönlichen Nutzen davon zu haben?
    »Weil man es wichtig findet?« Noch während ich diese Frage formulierte, spürte ich, wie altmodisch das klang.

    »Wichtig für wen?« hakte Emma nach.
    »Wichtig für die Gesellschaft?«
    Jetzt schauten mich meine Studenten an, als hätte ich sie aufgefordert, ihre MacBooks aus dem Fenster zu werfen.
    Sammy!
    In diesem Moment höchster Not – ich muss verdammt aufpassen, was ich hier sage: Am Ende des Semesters werden die Studenten mich bewerten, dann kommt es nicht so gut an, wenn ich das Etikett ewig gestrig aufgedrückt bekomme – fiel mir plötzlich ein, wer Sammy war. Der Typ, der meine Versöhnung mit Martina vermasselt hatte, als sie in das Treffen der Selbsthilfegruppe geplatzt war.

12
    Liebe Fortyniners! Leider muss ich meine Teilnahme an unserem Treffen heute Abend bei Ingrid kurzfristig absagen. Ich hänge in der Lehrplankommission fest. Ob ich überhaupt noch kommen kann, steht in den Sternen. Die Hauptdarstellerin meines aktuellen TV-Movies hat abgesagt, jetzt muss ich das Drehbuch umschreiben, damit es zu der neuen Schauspielerin passt. Also, war nett, euch kennenzulernen. Macht’s gut, Thomas!
     
    Ich hatte die Mail noch nicht ganz rausgeschickt, als es schon Reaktionen hagelte. Susanne erklärte, wenn ich nicht mehr käme, würde sie auch nicht mehr kommen, schließlich sei ich die »Seele« unserer Gruppe. Tat gut, ein Kompliment zu hören, auch wenn ich das total übertrieben fand. Beate stieß ins selbe Horn: Sie habe das Gefühl, ich würde mich hinter der Lehrplankommission verstecken, weil ich behauptet hätte, ich sei glücklich verheiratet. Aber diese Lüge würde mich menschlicher machen, wo sie bisher dachte, ich sei so schrecklich perfekt. Interessant, wie einen die anderen sehen! Ich dachte, ich sei ein offenes Buch, in dem jeder lesen konnte, wie es um mich bestellt war – schlecht. Ingrid argumentierte pragmatisch, wie es ihre Art ist, und gab Tipps, wie ich mich aus der Lehrplankommission stehlen könnte, ohne zu viel Porzellan zu zerschlagen. Dabei sollte ich keine Dinge behaupten, die nicht stimmen würden. Ein feiner Hinweis, dass Ingrid mich durchschaute. Ich sollte einen wichtigen, persönlichen Termin vorschieben, was ja der Wahrheit entsprach. Andreas schrieb unter dem Betreff »Großes Kino«, er habe den unerwarteten Auftritt meiner Frau total genossen, weil ihn das an früher erinnert habe, als er sich immer ganz schlecht fühlte, weil er dachte, er sei das einzige miese Arschloch, das seine Frau betrügt. Nur von Michael kam keine Reaktion. Probte er mit seiner Band oder war er froh, dass ich aus der Selbsthilfegruppe ausschied? Dabei hatte ich das Gefühl, dass wir uns von allen in der Gruppe am nächsten standen, bis auf den Umstand, dass Michael Metal-Fan war.

    So sehr ich mich auch über den Zuspruch freute, ich würde nicht mehr hingehen zu diesem Haufen Hysteriker, die sich vor dem Tod fürchteten. Was sollte ich da noch? Nicht nur, dass ich mich wirklich schämte – weniger wegen meiner Lüge, sondern wegen meines Lebens. Das, was Martina und ich abgezogen hatten, war wie der Plot eines der TV-Movies, mit denen ich mein Geld verdiente, die ich mir aber selbst nie anschaute, weil alles so vorhersehbar war: Ein Mann fängt aus Angst vor seinem 50. Geburtstag eine Affäre mit einer Praktikantin an, woraufhin seine Frau ihn verlässt. Er gerät in eine schwere Krise, die er aber nutzt, das Alter als Chance zu begreifen. Am Ende versöhnt er sich wieder mit seiner Frau und feiert mit der Familie seinen 50.

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