Von der Nutzlosigkeit, älter zu werden
Geburtstag in einer Taverne auf Kreta.
Die Gruppe hatte schon genug in den Abgrund meines Lebens geschaut, der sich als Untiefe herausstellte. Außerdem kam ich mir gescheitert vor im Vergleich mit Ingrid, die einen eigenen Fahrer hatte, oder Andreas, dessen Arbeitsplatz die ganze Welt war. Michael war Frontmann von Titties & Beer . Also ließ ich die ganzen Solidaritätsbekundungen unbeantwortet und spielte toter Mann, bis es an der Haustür klingelte. Wer konnte das sein? Martina?
Diesmal würde ich nicht klein beigeben. Ich würde sie auf Sammy ansprechen. Sammy ist Martinas Yogalehrer. Ein ewig grinsender Typ mit langen Haaren, der selbst im Winter in T-Shirt und Flip-Flops herumläuft, um allen zu zeigen, dass er erleuchtet ist und ihm deshalb Schnee und Eis nichts anhaben können. Martina hatte ihn mal zu einer Party eingeladen, wo ich ihm zur Begrüßung einen Aperol Sprizz anbot. Aber Sammy ergriff nicht den Drink, sondern mein Handgelenk, fühlte meinen Puls und erklärte unaufgefordert, was mit mir alles nicht stimmen würde. Eine lange Liste, gegen die der TÜV-Bericht bei der letzten Inspektion unseres 15 Jahre alten Mercedes Kombi ein Fliegendreck war. Und mit diesem Buddha für Arme …
»Ich war in der Gegend und dachte, wir könnten zusammen
zu Ingrid fahren, auch wenn das gegen Regel Nummer drei verstößt.« Michael stand vor meiner Wohnungstür und lächelte verlegen.
Hatte er meine E-Mail nicht bekommen, oder hatten die Anderen ihn geschickt?
»Die Anderen haben damit nichts zu tun«, erriet Michael meine Gedanken. »Jetzt komm schon!«
Ingrid wohnte in einem Penthouse in Bogenhausen. »Die Messegesellschaft bezahlt die Miete«, erklärte sie verlegen, als Michael und ich beeindruckt aus dem Aufzug stiegen, der direkt in ihr Luxusapartment führte, und wir auf die volleyballfeldgroße Terrasse traten, um den atemberaubenden Ausblick zu genießen: Im Westen grüßten die Frauenkirche und der Turm des Rathauses, im Süden badeten die Alpen im Licht der untergehenden Sonne.
»Habt ihr alle etwas zu trinken?« fragte Ingrid in die Runde. »Dann würde ich Jelena frei geben.« Damit war das Hausmädchen im schwarzen Cocktailkleid gemeint, das mit einem Tablett herumging und Getränke anbot.
»Wird die auch von der Messegesellschaft bezahlt?« lästerte Michael, worauf Ingrid ernst erklärte, sie persönlich brauche kein Personal, aber da sie in ihrer Funktion als Messe-Chefin häufig Einladungen zu Geschäftsessen aussprechen müsse, sei sie auf Jelena angewiesen. Die wiederum sei froh über den Job, weil sie mit dem Lohn ihren ganzen Clan zuhause in Russland ernähren würde. Die Putzfrauen-Diskussion. Alle hatten wir Putzfrauen, selbst Michael, obwohl der genug Zeit hatte, selbst die Wohnung zu saugen. Und natürlich hatten wir alle ein schlechtes Gewissen, weil es unserem demokratischen Gefühl widersprach, Hauspersonal zu beschäftigen. Aber wir rechtfertigten uns damit, dass wir so Transferleistungen an Länder zahlten, die selbst nicht in der Lage waren, ihre Bürger ordentlich zu ernähren. Seltsam nur, dass diese ganzen Putzfrauen irgendwie anders aussahen als wir, schwarz waren wie unsere Putzfrau, die aus Nigeria kam,
oder gelb wie Jelena, die von der Kamtschatka-Halbinsel am Ende der Welt stammte. Statt uns gegen diesen subtilen Rassismus aufzulehnen, dass nur Leute anderer Hautfarbe unsere Klos putzten, kauften wir uns damit frei, dass wir deutlich mehr als den Mindestlohn zahlten, was David mir immer vorwarf. Wobei David nichts dagegen einzuwenden hatte, wenn unsere Putzfrau sein Zimmer aufräumte, als er noch zuhause wohnte.
»Kommst du auch rein, Thomas?!« riss mich Ingrid aus meinen Überlegungen und schob die lautlosen Türen aus gebürstetem Stahl beiseite, die zu einem Salon führten, in dem sechs Louis-Quatorze-Stühle um einen filigranen chinesischen Lacktisch gruppiert waren.
»Schön, dass du es dir anders überlegt hast!« flüsterte mir Susanne ins Ohr und drückte meinen Arm, als wir in dem Salon Platz nahmen, der wie Ingrid war: perfekt, aber auch ein wenig leblos. Die Einrichtung war exquisit, die alten Möbel harmonierten mit den modernen Gemälden, die alle richtig herum hingen. Aber es war eine Atmosphäre wie im Museum, und ich hatte Angst, mich zu setzen, weil ich erwartete, dass Jelena mich zurechtweisen würde, bitte nichts anzufassen. Den Anderen ging es nicht anders, und so saßen wir angespannt auf der äußersten Kante der kostbaren Stühle und
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