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Von der Nutzlosigkeit, älter zu werden

Von der Nutzlosigkeit, älter zu werden

Titel: Von der Nutzlosigkeit, älter zu werden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Heinzen
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Weihnachten muss ich immer an Hank denken.«
    »Er hat es damals ernst gemeint.«
    Ingrid nickte und griff nach der Weinflasche. Ich legte meine Hand auf mein Glas, um zu signalisieren, dass ich genug hatte.
    »Du bist ja noch kontrollierter als ich.« Ingrid lachte. »Mach dich mal locker, Tommy!«
    Ich gab meinen Widerstand auf, und Ingrid schenkte mir nach.
    »Wenn ich damals nicht so viel Angst gehabt hätte, hätte ich heute eine 24-jährige Tochter oder einen 24-jährigen Sohn. Wenn ich vom Büro nach Hause gehe, beobachte ich oft die jungen Leute auf der Straße. Dann denke ich, die Frau mit dem unternehmungslustigen Pferdeschwanz, die im Café an der Ecke kellnert, könnte meine Tochter sein, oder der Mann auf dem Mountainbike mit der Umhängetasche mein Sohn. Wäre schön, wenn ich meinen Sohn anrufen könnte, weil mein Laptop abgestürzt ist. Oder wenn ich mit meiner Tochter nach Herzenslust shoppen gehen könnte. Und ich müsste meinen 50. Geburtstag nicht alleine in einem Ayurveda-Retreat auf Sri Lanka feiern.«
    Wir schauten uns lange an. Zu lange, wie mir nun klar wurde, denn Ingrid verstand das irgendwie falsch und fragte, ob ich mit ihr schlafen würde.
    Erschrocken stammelte ich, ich fände sie sehr attraktiv, aber ich müsste auch früh aufstehen am nächsten Morgen. Außerdem wollte ich meine Ehe nicht noch mehr belasten.
    »Kein Stress, Tommy!« Lachend ergriff Ingrid meine Hand. »Ich habe eine Wette laufen mit meinen Freundinnen,
ob ich mich trauen würde, einen Mann so etwas zu fragen.«
    Ingrid brachte mich zum Aufzug, und ich konnte ihr Lachen noch hören, als ich unten auf die Straße trat und David von meinem Handy aus anrief.
    »Weißt du, wie spät es ist?!« meldete sich David verschlafen. »Ist was passiert, oder warum rufst du mitten in der Nacht an?«
    »Ich wollte einfach nur deine Stimme hören.«
    »Hast du was geraucht, Papa?«
    »Nein, sollten wir aber vielleicht bald mal«, antwortete ich und legte auf.

13
    Bei Bedarf haben jüngere Fahrgäste älteren Fahrgästen unaufgefordert ihren Sitzplatz zur Verfügung zu stellen!
     
    Es gibt Dinge, die passieren einem zum ersten Mal, und man begreift sofort, dass sich etwas Wesentliches geändert hat im Leben. All das, was vorher war, ist nur noch eine Erinnerung und unwiederbringlich verloren: die erste Zigarette, das erste Bier, der erste Sex, mein erster Trip, der mich durch Pflastersteine aus Marshmallows waten ließ und mir klarmachte, dass es Dinge gibt in dieser Welt, die deutlich aufregender sind als Wetten, dass ..? Ich wollte so schnell wie möglich erwachsen werden, als wäre die Jugend ein Makel.
    Hätte ich mir doch mit all diesen Erfahrungen mehr Zeit gelassen, dachte ich jetzt mit Wehmut, wenn ich nachts wach lag, weil mein drohender 50. Geburtstag mir den Schlaf raubte. Wobei ich mich gar nicht wie 50 fühlte. Meine Studenten waren halb so alt wie ich, trotzdem fühlte ich mich gegenüber Emma mit ihrer Sehnsucht nach Überschaubarkeit wie jemand, der gerade in die Pubertät kam. Und erst Holger! Der war schon im Nadelstreifen-Anzug auf die Welt gekommen, während ich immer noch den Kapitalismus in Frage stellte. »Du solltest endlich erwachsen werden«, war Davids Kommentar, als er von meiner Affäre mit Dorata erfuhr. Was ich zunächst als Beleidigung empfand, sollte mich eigentlich fröhlich stimmen. Ich war noch nicht alt, wenn mein eigener Sohn mir die Reife absprach. Auf meinem Kopf wuchsen die ersten grauen Haare, aber innendrin herrschte ewiger Frühling. Und wo stand geschrieben, dass man ab 50 nicht mehr auf Rockfestivals fahren, mit dem Rucksack durch Asien reisen und in Jeans und T-Shirt zur Arbeit gehen durfte?
    Undenkbar, dass mein Vater in den gleichen Klamotten herumgelaufen wäre wie ich. Mein Vater hasste »Nietenhosen«, wie man eine Jeans damals nannte. Und T-Shirts waren für ihn Unterhemden mit Viertelarm in weißem Feinripp, die er unter einem gestärkten Oberhemd trug, wenn er sonntags zur Kirche ging. Ich dagegen unterscheide mich von meinem
Sohn nur dadurch, dass die Löcher in meiner Jeans von fleißigen Chinesen hineingebohrt wurden, während der heruntergerockte Eindruck von Davids Jeans durch jahrelanges ehrliches Tragen entstanden ist. Auf meinem T-Shirt steht nicht Eat the Rich wie bei David, sondern prangt ein dezentes Logo. Mein Jackett stammt nicht aus dem Secondhandladen wie die Jacke, die David sommers wie winters trägt. Aber dafür, dass mein Jackett aussieht, als hätte ich damit

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