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Von der Nutzlosigkeit, älter zu werden

Von der Nutzlosigkeit, älter zu werden

Titel: Von der Nutzlosigkeit, älter zu werden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Heinzen
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Freundin, weil du sonst keine Freundinnen hast?«
    »Andreas, bitte!« übernahm ich automatisch die Rolle des Gruppenleiters. »Das ist hier keine Gerichtsverhandlung.«
    »Tut mir leid, aber ich kann diesen Scheiß nicht mehr hören!« Andreas war nicht zu stoppen. »Warum sitzen wir denn alle hier und haben Angst vor unserem 50. Geburtstag? Weil wir allein sind. Und warum sind wir allein? Weil alle sich selbst verwirklichen wollen, anstatt einfach ihre Pflicht zu tun.«
    »Das scheint seltsamerweise nur für uns Frauen zu gelten«, kam Beate Ingrid zur Hilfe.
    »Ist doch Unsinn«, ereiferte sich Andreas. »Ich tue auch meine verdammte Pflicht, statt mich selbst zu verwirklichen. Oder glaubt ihr, es macht Spaß, einen ganzen Tag lang im Flieger zu sitzen inklusive vier Stunden Stopp-over in Dubai, wo ich im Duty-Free-Shop mit Celine Dion gefoltert werde? Es gibt eine Charts der Songs, mit denen sie in Guantanamo die Häftlinge rund um die Uhr beschallt haben, um Geständnisse zu erpressen. Und jetzt ratet mal, wer auf Platz Eins steht?«
    »Und warum ist deine Ehe gescheitert«, schaltete sich Michael ein, »wo du doch immer so brav deine Pflicht tust?«

    Andreas gab sich einen Ruck. »Weil ich es irgendwann satt hatte, in meinem eigenen Haus zum Rauchen auf die Terrasse zu gehen. Weil ich keine Lust mehr hatte, mich für jedes Glas Wein zu rechtfertigen, mit dem ich mich nach einem 12-Stunden-Tag abschoss, und auch nicht für die sechs Tassen Espresso, mit denen ich mich morgens wieder hochputschte. Weil ich zu müde war, für fünf Minuten Sex zwei Stunden lang über die Beziehung zu reden. Weil ich nicht wie Brad Pitt aussehe. Weil ich im Stehen pinkle. Weil ich in der Oper einschlafe. Verdammt …« Andreas schaute mich hilfesuchend an. »Jetzt sag doch auch mal was, Thomas. Du weißt doch, wie das ist. Deine Ehe ist doch auch auseinandergeflogen.«
    Ich hatte diesem Streit entspannt zugehört, froh darüber, dass ich nicht im Fokus des Interesses stand wie beim letzten Treffen, und machte mir Hoffnungen, dass der peinliche Auftritt von Martina schnell vergessen wäre. Zu früh gefreut. Die Gruppe schaute mich erwartungsvoll an, als ob ich eine Antwort wüsste, wie man dem Friendly Fire der Emanzipation entkommen könnte, dem wir alle zum Opfer gefallen waren.
    »Also, ähm … ich habe es immer als Bereicherung empfunden«, hörte ich mich sagen, »dass zwischen Martina und mir, ähm … meiner Frau und mir Gleichberechtigung besteht. Jeder hat seinen Job, jeder verdient sein Geld, gemeinsam kümmern wir uns um die Kinder.«
    »Und warum machst du mit deiner Praktikantin rum, wenn du so glücklich bist in eurer Beziehung?« setzte Ingrid nach, die froh war, aus der Schusslinie zu kommen.
    Ich schwieg verlegen, während Ingrid sich selbst die Antwort gab: »Weil sie einen tollen Arsch hat.«
    »Ja, und?« Andreas hielt es nicht länger auf seinem Louis-Quatorze-Stuhl, der gebaut worden war für schmalbrüstige, degenerierte Adelige, aber nicht für 120 schwitzende Kilos in Nadelstreifen. »Warum müssen wir Männer uns ständig dafür entschuldigen, dass wir Männer sind? Was ist denn mit dir, Ingrid? Warum bist du auf Hank abgefahren? Weil du mit
ihm so toll über den Dow Jones reden konntest, oder weil er breite Schultern hatte?«
    Wieder begann Ingrids Kinn zu zittern. Sie schaute auf ihre Rolex, um nicht in Tränen auszubrechen, aber es war abzusehen, dass sie das nicht mehr lange durchhalten würde. Ich stand auf und erklärte, in Anbetracht der Tatsache, dass Ingrid am nächsten Morgen nach Mailand müsse, sollten wir für heute Schluss machen. »Wer ist als Nächster dran?«
    Michael meldete sich. »Wie wär’s mit Samstagabend bei mir? Oder ist Samstagabend schlecht, weil ihr alle etwas vorhabt? «
    Ich wollte schon sagen, dass ich Samstagabend ideal fände, weil ich nichts vorhatte, außer zu viel Bier zu trinken und auf trübe Gedanken zu kommen. Aber dann dachte ich, wie peinlich, vor den Anderen zuzugeben, dass ich am Samstagabend alleine wäre. Doch einer nach dem anderen erklärte verlegen, dass Samstagabend okay sei.
     
    »Super, Andreas, echt super!« ereiferte sich Beate. Die Aufzugtüren hatten sich noch nicht ganz vor Ingrid geschlossen, die uns zuwinkte, wobei das weniger eine Geste des Abschieds war als der Erleichterung, uns endlich loszuwerden. »Musste das sein?«
    »Ach, jetzt bin ich schuld? Ich kann nichts dafür, dass Ingrid keinen tollen A …« Andreas konnte sich gerade noch

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