Von der Nutzlosigkeit, älter zu werden
Regalen war kein Platz dafür. Und die beiden Trolleys mit Kleidern, die sie
aus unserer Wohnung gerollt hatte, wo standen die? Unter dem Vorwand, den Kaffee wegzuschütten, kontrollierte ich die Küche – keine Kleider. Ich checkte das Bad: Hier hatte schon lange niemand mehr geduscht.
»Du wohnst gar nicht hier«, ging ich zum Angriff über.
»Was?« kam es über Martinas Schulter, die sie mir zuwandte, während sie auf ihrem Laptop die Mail schrieb.
»Du wohnst gar nicht hier, du wohnst bei Sammy.«
»Ist das ein Verhör?«
Ich ließ mich auf die Therapiecouch fallen und versuchte ruhig zu bleiben. Jetzt keine voreiligen Schlüsse ziehen. Ich ging auf ganz dünnem Eis.
»Und wenn schon, was geht dich das an?«
»Sorry, Schatz«, rutschte es mir jetzt in der Aufregung heraus. »Du bist mit dieser metrosexuellen Schwuchtel zusammen?! «
»Ich dachte, wir benutzen solche sexistischen Stereotype nicht«, konterte Martina kalt. »Außerdem ist Sammy nicht schwul.«
»Aber …« ich rang nach Worten, weil ich das nicht glauben konnte. Ich hatte gehofft, dass ich mich irrte. Ich war mir absolut sicher, dass ich mich irrte. »Sammy – was ist das überhaupt für ein Name?!« ereiferte ich mich. »So heißen Seehunde, die im Zoo Bälle auf der Nase balancieren. Sammy ist Anfang 30, also fast noch ein Kind. Dem fehlt ganz viel Lebenserfahrung. Außerdem benutzt der seinen Kopf nur, um darauf zu stehen. Wie willst du dich mit Sammy über den neuen Film der Coen-Brüder unterhalten?«
»Vielleicht will ich das ja gar nicht«, kam es hinter der Lesebrille hervor, die Martina aufgesetzt hatte.
Martina hatte sich immer geweigert, eine Brille zu tragen, obwohl sie echt süß aussah mit der neuen Brille. Steckte Sammy dahinter? Bestimmt steckte Sammy dahinter. Er hatte Martina sicher auch überredet, keinen Kaffee mehr zu trinken.
»Und was reizt dich an ihm?« Ich hatte die Frage noch
nicht ganz gestellt, als ich es schon bereute, weil ich plötzlich Sammys durchtrainierten Körper vor mir sah mit all den Muskeln, die ich gar nicht besaß.
»Willst du das wirklich wissen?« Martina stand vom Schreibtisch auf, setzte sich mir gegenüber auf ihren Therapiestuhl und schlug die Beine übereinander, die mir noch nie so lang und schlank vorgekommen waren.
Nein, ich wollte es nicht wissen. Auf gar keinen Fall, weil ich mir nämlich den Grund denken konnte. Irgendwie hatte ich mir in meiner Paranoia vor dem Älterwerden nicht vorstellen können, dass Martina von denselben Ängsten heimgesucht wurde. Und sie sich mit Sammy auch in den Jungbrunnen stürzte wie ich mit Dorata. Außerdem war ich mir – warum eigentlich? – immer so sicher gewesen, dass Martina mir sicher war.
»Ich habe auch Angst vor dem 50. Geburtstag«, erriet Martina meine Gedanken.
»Du hast noch drei Jahre Zeit.«
»Schon, aber für eine Frau ist das mit dem Älterwerden viel schwieriger. Es fängt viel früher an als bei euch Männern. Während ihr in die besten Jahre kommt, sind wir schon auf dem absteigenden Ast.«
»Beste Jahre?« wiederholte ich. »Heute hat mir jemand zum ersten Mal in der U-Bahn seinen Sitzplatz angeboten.«
»Wo ist das Problem?«
»Ich bin erst 49!«
Martina tat mir nicht den Gefallen mitzulachen, stattdessen ging sie zum Angriff über. »Du hast dich so verdammt sicher gefühlt, dass ich dich nie verlassen würde. Nur deshalb hast du dich auf diese Affäre eingelassen. Weil du selbstverständlich davon ausgegangen bist, ich würde dir schon verzeihen. Du konntest gar nicht verlieren. Du hattest deinen Spaß, ohne deine Ehe zu riskieren. Im Gegenteil, die Alte wäre froh, wenn du gnädiger Weise zurückkommst, weil sie mit ihren 46 Jahren nur noch schwer vermittelbar ist auf dem Beziehungsmarkt.«
»Bitte, Martina, du bist immer noch eine schöne Frau.«
»Immer noch?« Martina lächelte. »Was für ein nettes Kompliment! Warum hast du dir dann für deine Affäre nicht eine gleichaltrige Frau ausgesucht, die so wie ich ›immer noch‹ attraktiv ist?«
Ich öffnete den Mund, um zu antworten, aber mir fiel nichts ein. Doch, jetzt fiel mir etwas ein, und bevor ich begriff, dass es keine gute Idee war, in dieser schwierigen Situation Andreas zu zitieren, war es schon heraus: »Ich bin ein Mann!«
Ich vermute, nein, ich weiß ganz sicher, dass es hier in diesen stillen, geschmackvollen Räumen selten lustig zuging. Hier wurden mit gedämpfter Stimme schlimme Dinge verhandelt: sexueller Missbrauch, frühe Trennungen,
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