Von der Nutzlosigkeit, älter zu werden
damit Kurt die Gelegenheit bekam, mich anzusprechen. Mein Leben wäre ganz anders verlaufen. Wir haben uns ein paar Mal getroffen. Bei Udo begann jeder Satz mit ›Susanne‹. Wir gingen zusammen ins Kino, danach kochte er für mich. Udo konnte nur Pasta, wobei er die Gewürze vergaß. Aber er war der erste Mann, der für mich den Tisch deckte, auch wenn die Teller nicht zueinander passten.
Die Bettwäsche war auch bunt zusammengewürfelt. Ich war total nervös, Udo auch. Ich war es nicht gewohnt, dass es Probleme gab. Kurt ist der Mann, der immer kann.« Susanne lächelte verlegen. »Udo ist Polizist. Ich holte ihn nach dem Dienst ab, und wir gingen in den Biergarten am Chinesischen Turm, wo auch Kurt war mit einer Gruppe Japaner. Kurt setzte sich unaufgefordert an unseren Tisch und fragte lachend, ob wir etwa zusammen wären. Ich habe Udo gesagt, er sollte sich nichts daraus machen. Aber Udo hat den Kontakt abgebrochen, angeblich, weil er so viel zu tun hat.«
»Und warum strickst du den Scheiß Strampler?« fragte Ingrid in das Schweigen, das sich nach Susannes langer Geschichte an unserem Tisch ausbreitete.
»Bitte?«
»Warum strickst du diesen gottverdammten Strampler, wo Kurt dich eiskalt abserviert hat?!«
»Aber was kann denn das arme Würmchen dafür?«
Statt zu antworten, hielt Ingrid Susanne das Käsemesser hin. Nach kurzem Zögern ergriff Susanne das Messer, schnitt damit in die Maschen und begann, den Strampler aufzuziehen, während Ingrid den Faden aufnahm und um den Korken wickelte.
Eine Zeitlang schauten wir alle zu, wie der Strampler langsam verschwand, während das Wollknäuel immer größer wurde, bis sich Masche für Masche die letzte Reihe in Luft auflöste. Ingrid gab Susanne das Wollknäuel, die wog es nachdenklich in der Hand und warf es dem Golden Retriever zu, der nur darauf gewartet hatte, damit zu spielen.
»Ich verpasse meinen Flieger!« Andreas erhob sich vom Tisch.
»Willst du dich verdrücken«, fragte Ingrid mit einem spöttischen Lächeln, »damit wir keinen Termin für das nächste Treffen ausmachen können? Du bist an der Reihe!«
»Ihr seid herzlich willkommen!« Andreas zückte sein iPhone. »Aber es ist ein bisschen eng bei mir diese Woche. Bin zwei Tage in den Emiraten, dann in Brasilien. Wir könnten
uns am Donnerstag treffen, wenn ihr bereit wärt, zum Flughafen zu kommen. Ich habe drei Stunden Wartezeit zwischen meiner Ankunft aus Dubai und meinem Weiterflug nach São Paulo. Da lohnt es sich nicht für mich, nach Hause zu fahren. Ich würde uns einen Konferenzraum mieten im Airport-Hotel. Donnerstag, 19 Uhr, ihr bekommt noch eine Mail mit allen Infos.«
»Was ist eigentlich mit Beate?« wandte sich Ingrid an mich, während sie den Termin in ihr BlackBerry tippte. »Hast du was gehört, Tommy?«
»Ich? Wieso ich?« versuchte ich mich rauszureden, während mich alle erwartungsvoll anschauten. »Regel Nummer drei.«
»Komm schon, Tommy, du weißt doch was!« drängte Susanne.
Was sollte ich darauf antworten. Ich bin nicht gut im Lügen, weshalb ich auch die Sache mit Dorata nicht lange geheim halten konnte.
»Beate geht es im Moment nicht so gut.«
»Zu viel Arbeit in der Klinik?« erkundigte sich Ingrid.
»Ja, auch …«
»Verdammt, Tommy, jetzt lass dir doch nicht jedes Wort aus der Nase ziehen!«
Ich gab mir einen Ruck. »Beate hat seit drei Jahren Brustkrebs …«
»Deshalb dieses ganze Affentheater!«
»Kannst du einfach mal die Klappe halten?« fuhr Ingrid Andreas an. »Wäre das ein Problem?!«
Andreas hob seine Hände. »Schon gut!«
»Sie hatte den Krebs im Griff«, fuhr ich fort. »Aber jetzt hat sie ein Rezidiv, der Krebs strahlt aus.«
Ingrid nickte. »Bekommt sie Bestrahlungen?«
»Ja, aber erst, wenn …« Ich gab mir einen Ruck. »Die Ärzte mussten eine Brust entfernen.«
»Welche Brust ist es denn?« erkundigte sich Andreas.
Die beiden Frauen verdrehten die Augen, und Ingrid giftete: »Warum rufst du dir nicht endlich ein Taxi?!«
»Und wie geht es ihr?« erkundigte sich Susanne.
»Ich habe Beate nach der OP noch nicht gesprochen. Aber sie war sehr gefasst. Ich meine …«
»Was denn?« drängte Susanne.
Ich hasse Krankenbesuche, aber ich überwand mich. »Anrufen bringt nichts, die geben am Telefon keine Auskunft. Aber ich könnte morgen mal im Krankenhaus vorbeischauen und fragen, wie’s ihr geht.«
»Warte, Tommy!« Susanne mähte mit dem Käsemesser ein ganzes Feld Gladiolen ab und drückte mir den Strauß in die Hand. Dann
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