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Von der Nutzlosigkeit, älter zu werden

Von der Nutzlosigkeit, älter zu werden

Titel: Von der Nutzlosigkeit, älter zu werden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Heinzen
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Jungs sind inzwischen aus dem Haus und brauchen mich nicht mehr. Also natürlich brauchen sie mich noch, aber nicht, um morgens einen Berg Schulbrote zu schmieren und abends schmutzige Fußballtrikots zu waschen. Ulf hängt ein bisschen durch, weil er in der Kanzlei, in der er seit Anfang des Jahres als Anwalt arbeitet, immer nur vor dem Computer sitzt. Ganz allein in einem Raum ohne Fenster. Lars hat Liebeskummer, wobei ich insgeheim froh bin, dass ihn seine Freundin verlassen hat. Die hat ihm nicht gut getan, so eine Überfliegerin, der es nur um die Karriere geht. Sven, unser Jüngster, ist für ein Jahr in Australien. Ralf macht ein Praktikum in Kurts Firma. Die ist zwar ganz in der Nähe, aber ich will da nicht stören, weil Kurt dem Jungen gerade ein paar wichtige Türen öffnet. Aber wir telefonieren oft. Kurt hat alles großzügig geregelt, das Finanzielle und so. Es fehlt mir an nichts, auch wenn ich mir manchmal wünsche, dass wir mehr Zeit hätten, so wie früher, wenn wir zusammen mit dem Hund an der Isar spazieren gegangen sind
und über alles geredet haben. Aber ich kann Kurt verstehen. Ist doch klar, dass er jede freie Minute mit seiner neuen Frau verbringt, wo die kurz vor der Geburt steht. Die Schwangerschaft war nicht unproblematisch. Beinahe hätte sie eine Fehlgeburt gehabt, dabei hat sich Kurt doch immer ein Mädchen gewünscht. Kaffee?!«
    Michael half Susanne, das Geschirr in die Küche zu bringen. Wenig später rührten wir in unseren Espressotassen, während Susanne einen Strampler hochhielt, den sie für das Baby von Kurt strickte.
    »Ist der nicht niedlich?!«
    Reihum nahmen wir den rosa Strampler in die Hand und fühlten die flauschige Wolle.
    »Total niedlich!« Mit einem grimmigen Lächeln gab Ingrid den Stampler zurück.
    Susanne wollte ihn wieder wegpacken, hielt nun aber inne und brach in Tränen aus.
    Wir schauten uns alle betroffen an: Einer müsste die Initiative ergreifen und Susanne in den Arm nehmen oder wenigstens etwas sagen. Das übernahm Michael. Er legte einen Arm um sie, während es aus ihr herausbrach: »Ich hasse dieses Baby! Ich hasse dieses Baby!«
    Michael nahm Susanne die Tüte mit dem Strampler aus der Hand und schob ihr seinen Espresso hin.
    Lange schaute Susanne in die Tasse, als ob darin die Antworten auf all ihre Fragen liegen würden, dann sagte sie leise, als würde sie mit sich selbst reden: »Kennt ihr das? Man wohnt wochenlang in einem Hotel und wird hofiert. Am Tag der Abreise klopft es um sieben Uhr in der Früh an die Zimmertür. Der Service will die Minibar checken, und auf dem Weg zum Frühstück wedeln sie am Empfang vorwurfsvoll mit der Rechnung, als wolltest du abreisen, ohne zu bezahlen.«
    Dankbar nahm Susanne das weiße Einstecktuch, das Andreas immer zu seinem Nadelstreifen-Anzug trug und das er ihr jetzt reichte, damit sie ihre Tränen trocknen konnte.
    »Auf der Abiturfeier von Sven teilte mir Kurt mit, dass
er sich scheiden lassen würde. Versteht ihr? Auf den Tag genau. «
    »Du hattest deinen Vertrag erfüllt«, kommentierte Ingrid auf ihre nüchterne Art.
    »Richtig«, pflichtete Susanne ihr bei. »Ich war abgeschrieben und wurde durch ein neues Modell ersetzt.«
    Unsere Runde versank in Schweigen.
    »Soll ich noch Wein holen?« versuchte Susanne uns aufzumuntern. »Ist schon komisch …« Susanne lächelte nachdenklich, während sie den Korken aus der Weinflasche zog. »Vor ein paar Wochen war ich auf dem Viktualienmarkt, wo mich ein Mann ansprach. Ob ich ihn nicht mehr kennen würde? Ich hatte keine Ahnung, bis es mir wieder einfiel. Ich hatte mit ihm mal auf einer Schulparty getanzt. Udo konnte sich noch an alles ganz genau erinnern, an das Kleid, das ich damals trug, und sogar an den Song, zu dem wir getanzt hatten: A Whiter Shade of Pale von Pink Floyd …«
    »Der Song ist von Procol Harum «, ließ Michael den Lehrer raushängen.
    »Echt?« Susanne verteilte den Wein auf unsere Gläser. »Udo hat jetzt eine Glatze, weshalb ich ihn nicht erkannt habe. Wobei er damals schon wenige Haare hatte. Und er hatte Asthma, weshalb er vom Sport befreit war. Er trug auch keine Jeans, wie alle anderen Jungen aus meiner Klasse, sondern Hosen mit Bügelfalte. Ich habe damals mit Udo nur getanzt, weil ich nicht alleine herumstehen wollte. Jetzt fragte ich mich, während wir uns verlegen auf dem Viktualienmarkt gegenüberstanden, was wäre geworden, wenn ich damals weiter mit Udo getanzt hätte, statt ihn loszuschicken, um mir eine Cola zu holen,

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