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Von der Wüste und vom Meer: Zwei Grenzgänger, eine Sehnsucht (German Edition)

Von der Wüste und vom Meer: Zwei Grenzgänger, eine Sehnsucht (German Edition)

Titel: Von der Wüste und vom Meer: Zwei Grenzgänger, eine Sehnsucht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Achill Moser , Wilfried Erdmann
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eingefahren, mit einem Gläschen Tee in der Hand.
    Zum Abend hin besorgte mir ein Beduine eine Bleibe für die Nacht. Eine Pritsche oder einfach einen Schlafplatz auf festem Lehmboden in einem leeren Raum. Mein Rad nahm ich immer mit. In den Radtaschen war meine Schlafwäsche. Nein, ich reiste nicht mit Schlafanzug, schlief fast nackt, bis ich mal in der Nacht von einem nackten Mann Besuch bekam. Da wurde mir erstmals bewusst, dass die Redewendung »einer vom anderen Ufer« im wirklichen Leben tatsächlich zutrifft. Ich hatte zu Hause nie glauben wollen, dass Männer andere Männer mögen. Schnell raffte ich meine Utensilien zusammen und legte meinen Schlafsack draußen in einer Mulde auf blanken Wüstensand. Nach dieser Erfahrung wurde ich bei Übernachtungsangeboten vorsichtiger. Spätestens wenn ein Mann seine Hand auf mein Knie legte, wurde ich wachsam. Und abweisend, egal wie großzügig seine Essenseinladung war. Um eine Erkenntnis reicher, hatte ich anderntags auf dem Rad keine Langeweile.
    Zum Ende der Wüstenstrecke gab es eine Zeit der Ausbeutung. Ich schindete meinen Körper bis zum Verrecken. An einigen (wenigen) Tagen war ich von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang unterwegs. Treten, schieben, trinken, essen, liegen. Liegen im Schatten von großen Steinen. Liegen im Schutz der Steine vor dem Wüstenwind.
    Wie gesagt, meine Wüste war so sandig nicht: Große Felsbrocken markierten meinen Weg, Sand und Steinchen meine Spur. Gluthitze und Staub waren meine Begleiter. Dennoch: Ghadames blieb mein Ziel. Eine Stadt in der Wüste, eher ein Tuareg-Städtchen im Dreiländereck Libyen–Algerien–Tunesien.
    Warum eigentlich Ghadames? Heute weiß ich es nicht mehr genau. Der einzige Weg auf der Landkarte, der nach Süden führte, ging über Ghadames. Und ich wollte nach Süden. Die Wüste sehen. Die Wüste erleben. Mir schien, das englische Wort für Wüste traf es besser: desert  – verlassen. Vom Leben verlassene Erde. Noch war sie steinig. Und natürlich schien die Sonne – wann tat sie das nicht in diesem Land Libyen. Der Himmel war gewiss blau mit Federwolken. Aber mein Gedächtnis hat das nicht aufgezeichnet. Ich erinnere mich nur an grobe Steine, Schotterfelder und Spuren im Sand. Und an die Einsamkeit, Stille und Weite. Wenn man Menschen traf, trugen sie ein weißes Tuch auf dem Kopf, das nur die Augen frei ließ. Das weiße Tuch, auf Arabisch Litham , schützte auch mich vor der Sonne und vor dem vom Wind aufgewehten Wüstensand. Und bei Stürzen vom Rad.
    Mein Blick war fahrig. Ich fürchtete, mich zu verirren. Hinzu kam die körperliche und geistige Anstrengung, die meine Wüstenfahrt mit dem Rad belastete. Überm Lenker gebeugt, mit Sand zwischen den Zähnen, versuchte ich, nicht die Orientierung zu verlieren. Zugleich schwemmten subtile Ängste an die Oberfläche. Ich sah Dinge, die gar nicht da sein konnten. Ein Auto beispielsweise.
    Manchmal bewegte ich mich zwischen Realität und Unwirklichkeit. Rings um mich herum war plötzlich ein See mit großen Eisschollen. Ganz fern sichtete ich einen dunklen Strich, das Ufer, und einen kleinen Punkt, das war ein Steinhügel. Dann wieder trieb ich auf einer Eisscholle. Voraus kam etwas auf mich zu, das wuchs geradewegs in mich hinein. Palmen kündigten eine Oase an, und rechts von mir stand ein weiß gekleideter Mann mit einer Umhängetasche voll Wasserflaschen. Weiter ging meine Tour. Sand zog vorbei. Gelber. Dunkler. Steiniger. Eben Wüste. Ich freute mich auf ein Bett, aber ich sah nur graue, zerrissene Sandebenen. Wie erfreute mich ein Vogel, aber es waren nur die Hühner der letzen Siedlung. Sie hatten keinen Misthaufen. Was Wunder, der Kot der Tiere wurde gleich zu den bedürftigen Dattelpalmen gebracht.
    Zurück zur Wirklichkeit. Niemand war da. Nichts. Keine Personen, kein Kilometerstein, kein Ortsschild, kein Telegraphenmast. Um mich herum nur baumlose, hügelige Wüste. Weite und Stille. Ungehindert spannte sich Trostlosigkeit von Horizont zu Horizont.
    Sinawan. Ein Ort von unbeschreiblicher Melancholie. Weiße Mauern bröckelten. Verworrenes Gestrüpp. Reihenweise Baumstümpfe. Über den Lenker gelehnt, mochte ich gar nicht absteigen und dachte: Worauf habe ich mich bloß eingelassen? Die Zelte waren nach Norden hin mit Schutzwänden aus Reisig und Lehm versehen, gegen den Treibsand des vorherrschenden Windes. Ein Esel, eine Ziege, viele Kamele liefen frei umher. Zäune kann man sich in der Wüste sparen. Hier läuft niemand weg.
    Eine

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