Von der Wüste und vom Meer: Zwei Grenzgänger, eine Sehnsucht (German Edition)
Kopfüber wuchsen sie mannshoch an kräftigen Stängeln. Zu ernten gab es nichts, sie waren noch ganz grün und somit unreif. Ich hätte ein Foto gemacht (konnte ich leider nicht, denn ich hatte keine Kamera, und das war ein großer Fehler). Von der Küstenstadt Gabès fuhr ich nach Süden, über eine vage Sandpiste (von Weg will ich nicht reden), und landete zwei Tage später in Nalut, Libyen. Auf einem wunderschönen Teppich unter einer Art Vorzelt vor einem weißen Haus wurde mir sogleich Tee serviert. Süßer Tee in winzigen Gläsern, die Schnapsgläsern ähnelten. Das war richtig romantisch, so wie man es sich in der Wüste vorstellt. Umgeben von Sand, einem Kamel und wild aussehenden Menschen. Ungezügelt jagten Worte über mich hinweg. Kinder drehten an meinem Rad. Man brachte mir einen ganzen Krug voll Wasser, den ich gleich an den Mund setzte. Das Wasser im Tonkrug war angenehm kühl – somit schnell ausgetrunken. Bald kippte ich in Liegestellung, der erste sandige Abschnitt hatte mich total ausgelaugt.
Nalut hatte auch einen Polizisten. Der wollte meinen Pass sehen. Vor allem suchte er darin einen Stempel von der Grenze. Aber ich hatte keinen und zeigte ihm, wie ich gekommen war. Mit dem Arm wies ich viele Male in die Richtung einer Bergkette. Verständigen konnten wir uns ohnehin nicht. Ich befand mich doch erst wenige Stunden in Arabien, und in Tunesien war ich mit Italienisch zurechtgekommen. »Quanti anni hai?« – »Wie alt bist du?« Das war die Standardfrage. »Diciotto.« Und weiter ging es mit: Woher kommst du? Was machst du? Wohin? Familie? Beruf? Und so weiter.
Am Ende der Reisepass-Diskussion, in die sich scheinbar alle Männer des Dorfes einmischten, war klar: Ich hatte die Grenzstation trotz Karte verfehlt. Puh! Dennoch bekam ich zu essen, zu trinken und ein Lager für die Nacht. Meinen Schlafsack legte ich auf einem dicken Teppich aus, der auf einem Hausdach ausgebreitet lag. Die Dächer hatten keine Schräge. Ob es wirklich nie regnete? Beim Blick in den Himmel kamen mir die seltsamsten Gedanken. Was hätte meine Mutter gesagt, wenn sie mich hier gesehen hätte? Vermutlich: »Bei uns haben wir Betten und fließend Wasser, die Äpfel reifen, und die Kuh gibt gute Milch.« Und meine Freunde erst! Ich befand mich unter Arabern, mich umgab die pure Wüste, und sie waren vielleicht gerade im Schwimmbad. Das war das Außergewöhnlichste in meinem Dorf in der Prignitz, was man sich vorstellen konnte. Mit dem Gedanken »Die Araber sind aber nett, eigentlich genau wie die in Tunesien …« schlummerte ich weg.
Hinein in die Wüste, weil Allah sie erschaffen hat.
Von Nalut wollte ich nach Ghadames. Ich erinnere: alles per Fahrrad. Zwar weniger schwer beladen als zu Anfang der Reise, aber immer noch nicht ganz leicht. Zelt, Luftmatratze und Sakko hatte ich schon in Tunesien gegen eine Schlafstatt, Früchte und so weiter eingetauscht. Die Dinge erschienen mir zwischenzeitlich nutzlos, da für Unterkunft meine »Gastgeber« sorgten.
In Nalut, einem Ort in reiner Sand- und Steinwüste, stand man förmlich Kopf, als ich verkündete, mein nächstes Ziel sei Ghadames. In meiner jugendlichen Unbekümmertheit glaubte ich, ich könnte mich mit zwei Flaschen Wasser mutterseelenallein zu dem menschenfeindlichsten Fleck Erde aufmachen. Doch man ließ mich anderntags tatsächlich weiterfahren. Vermutlich froh, diesen ungebetenen, »illegal« eingereisten Jungen los zu sein. Indes: Man ließ mich nicht aufs Rad, ohne mir noch mehr Wasser im Beutel, Datteln und anderes klebriges Essen mitzugeben. Mit zusätzlich einer Handvoll Fladenbrot, ein paar Stangen Keks und einigen Früchten im Gepäck, wurde ich von Kindern angeschoben. Salam alaikum.
Nach Ghadames konnte man damals nur per Jeep oder Kamel kommen. Ich hatte vollauf zu tun, eine der beiden von Autoreifen eingefahrenen Sandspuren zu halten. Und entscheidender: die Autospuren nicht ganz und gar zu verlieren. Die Distanz betrug rund 200 Kilometer gen Süden, dann rechts ab 150 Kilometer und zurück zur Küste (über 500 Kilometer). Meine Wüste. Dazwischen, im Abstand von 20 bis 40 Kilometern, immer wieder Ansiedlungen, Zelte und Nomaden. Leider keine Oasen, wie man sie von Fotos kannte, sondern Gebüsch, Brunnen, weiß getünchte und lehmfarbene, sehr kleine Hütten. Das Leben fand davor unter Zeltdächern statt, oder waren es Grasdächer? Savannengras? Ich weiß es nicht mehr so genau. Wegweiser? Fehlanzeige. Trinkwasser gab’s nur aus
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