Von dieser Liebe darf keiner wissen - wahre Geschichten
Strong I am. Dark it is. Bright I am. Dead it is. Alive I am.
Mami, bleib hier.
Ich bin ja da.
Der 4. Januar 2011, Dienstag, ist Tag 0.
Während vier Stunden tropft fremdes Knochenmark in Sarahs Körper, die Mutter und der Freund sitzen daneben, Sarah will nicht, dass die Mutter das Transplantat fotografiert, 1,2 Liter, darauf das Geburtsdatum einer Spenderin aus Amerika, 16.03.1973, For Use By Intended Recipient Only.
Schüttelfrost am Tag danach.
Meronem
Ciproxin
Perfalgan
Die Mutter wacht und schläft im Nebenbett, jeden Abend zieht Sarah nun einen Spruch aus der Tüte: Und eines Tages sagt die Stimme meines Herzens klar und deutlich JETZT!, und nichts und niemand kann mich aufhalten.
Wir sind zufrieden, sagen die Ärzte.
Am 13. Januar 2011 erbricht Sarah Blut, sie hat Blut im Urin, ihr Blutdruck ist zu hoch, Sarah bekommt ein Medikament und davon Kopfschmerzen, Desperate Housewives am Abend.
Irgendwann schickt sie dem Vater eine SMS: Ich habe dich lieb.
Dann noch eine: Du weißt gar nicht, wie lieb ich dich habe.
Der Vater wagt nicht zu antworten.
Bluttransfusion, jetzt A negativ.
Am 22. Januar 2011, Tag 18, schreibt die Mutter der Facebookgruppe, die sie täglich ins Bild setzt: Von Stunde zu Stunde geht es Sarah besser.
Tag 19, Sarah hat einen Abszess im Mund, die Weisheitszähne, Sarah erträgt kein Licht, kein Geräusch, alles tut weh, die Haut juckt, sie kratzt sich blutig, erbricht.
Lasix gegen den Bluthochdruck.
Morphium gegen die Schmerzen.
Papi zu Besuch.
Tag 23, acht Minuten lang strampelt Sarah auf einem Fahrrad.
Am 6. Februar 2011 versagen Sarahs Nieren, man rollt sie zur Dialyse, Blutwäsche.
Sauerstoff.
Abends ein Spruch: Glaube nicht an das, was du siehst, glaube an das, was du fühlst.
Eine gute Nachricht, sagen die Ärzte, achtzig Prozent von Sarahs Knochenmark stammten von der Spenderin. Weiter so!
Am Freitag, 17. Februar 2011, Tag 45, sitzt die Mutter in einem kleinen Raum, fünf Ärzte vor sich, einer beginnt zu reden, die anderen schauen in eine Ecke, einer redet, man habe leider festgestellt, sagt einer, dass die Transplantation misslungen sei, Sarah hat kein fremdes Knochenmark mehr, wir geben ihr noch wenige Tage. Und sollte sich übers Wochenende der Zustand Ihrer Tochter verschlechtern, Frau M., wir ließen sie sterben.
Möchten Sie ein Taschentuch?
Die Mutter ruft den Vater an, es ist Abend, er hört ihre Stimme und weiß, sie, die nie weint, hat geweint.
Tag 46, Samstagvormittag, Sarah, weiß, haarlos, verkabelt, liegt in ihrem Bett und fragt eine Ärztin: Ist das Ihr Entscheid?
Nicht meiner allein.
Man könnte mir eine neue Niere einsetzen, sagt Sarah.
Dafür sind Ihre Blutwerte zu schlecht. Sie würden verbluten.
Ich habe noch viel vor, ich will leben, ich will zurück nach Luzern, in Luzern baue ich mir eigenes neues Knochenmark auf.
Vom medizinischen Standpunkt aus, sagt die Ärztin, besteht keine Hoffnung, es tut mir unendlich leid.
Sarah dreht sich zur Mutter: Mami, was sagst du dazu? Gibt es noch Hoffnung?
Die Mutter schweigt.
Papi, holst du mir ein Salamisandwich?
Am Abend sitzt der Freund an Sarahs Bett, er streichelt ihr Gesicht, ihre Arme, ihre Hände, Sarah weint.
Wie ich dich liebe!
Sarah atmet heftig und schnell, ihr Puls rast, sie dämmert weg, erwacht, greift abends in die Tüte, Tag 51, 24. Februar 2011, Donnerstag: Das Ziel erreicht man mit dem letzten Schritt, alles andere ist Vorbereitung.
Mami, fragt Sarah, kannst du mich loslassen?
Wie meinst du das?
Wenn ich sterben will.
Sicher, ich helfe dir dabei, stirb, wenn du das möchtest.
Schläfst du heute bei mir im Bett?
Die Mutter legt sich zu Sarah ins Bett, sie singen die Lieder der frühen Jahre, Roti Rösli im Garte, Maierisli im Wald, wenn de Wind chonnt cho blase, de verwelked sie bald, roti Rösli im Garte, Maierisli im Wald, ha de Gogger ghört rüefe, de Sommer chonnt bald.
Sarah wimmert.
Die jüngere Schwester, J., steht neben dem Bett, der Vater, die Mutter, Sarahs Freund, die beste Freundin, Montag, 28. Februar 2011, ein Tag ohne Wetter, Sarah hustet seit drei Uhr morgens.
Mami, ich mag…
Ich mag…
Sprich weiter, sagt die Mutter.
…mag nicht mehr, sagt Sarah.
Gib mir drei Zeichen, Sarah, damit ich weiß, dass ich dich richtig verstehe: Willst du sterben?
Ja.
Willst du noch länger kämpfen?
Nein.
Hebe die rechte Hand.
Sarah hebt die rechte Hand.
Willst du Papi noch etwas sagen?
Sarah schweigt.
Alles ist gut, geh nur, sagt der Vater.
Danke
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