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Von ganzem Herzen Emily (German Edition)

Von ganzem Herzen Emily (German Edition)

Titel: Von ganzem Herzen Emily (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanya Byrne
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Stimme in meinem Kopf unablässig schrie und schrie und schrie, während wir nach Folkstone fuhren.
    Doch als wir dann in Calais von der Fähre fuhren und er mir endlich erzählte, dass mein Vater schwer verletzt war, fing ich an, hysterisch zu schreien. Ich flehte ihn an, umzukehren und nach Hause zu fahren, mich zu meinem Vater zu bringen, aber er fuhr immer weiter und weiter, während ich mich schließlich auf dem Rücksitz des Autos in den Schlaf weinte, den Kopf in Nanna Kolls Schoß gelegt, die sich zu mir nach hinten gesetzt hatte und mir unablässig über die Haare strich.
    Ich weiß nicht, ob dir das in deinem Leben jemals passiert ist. Ob du jemanden geliebt hast – und ihn als denjenigen geliebt hast, der er war –, und dann findest du eines Tages heraus, dass es sich in Wirklichkeit um eine völlig andere Person handelt. Dabei bricht es einem nicht nur das Herz. Man bricht dabei selbst entzwei. Du bist danach selbst nicht mehr die Person, für die du dich bisher gehalten hast.
    »Ist er auch zu ihr?«, fragte ich.
    »Wohin?«
    »Zu Juliet, in ihr Schlafzimmer?«
    »Nein.« Etwas in der Weltordnung kam wieder ins Lot, und ich atmete erleichtert auf. »Sie hätte gar nicht da sein sollen. Sie war an dem Abend mit ihrem Freund verabredet, aber sie hatten wohl einen Streit, und deshalb kam sie früher nach Hause. Sie kriegte die lautstarke Auseinandersetzung zwischen ihrem Vater und Harry mit, deshalb konnte sie später im Prozess auch so viele neue Details aussagen. Sie hat alles gehört. Als sie die Polizei anrief, sagten die ihr, sie solle sofort das Haus verlassen, doch sie nahm das Brotmesser aus der Küche und ging damit nach oben. Dein Vater hat sie nicht kommen hören. Sie stach ihm damit mehrmals in den Rücken.«
    Da musste ich auf einmal lachen, laut und heftig. Ich hasste sie. Ich hasse sie immer noch. Das sollte ich wahrscheinlich besser nicht sagen, sonst hast du kein Mitleid mehr mit mir. Aber weißt du was? Dein Mitleid ist mir so was von egal. Ob du mich magst oder nicht, macht für mich nicht den geringsten Unterschied. Deshalb sage ich es noch einmal: Ja, ich hasse sie. Ich hasse sie so sehr, dass ich jedes Mal, wenn ich an sie denke, spüre, wie sich in mir alles zusammenzieht. Nur, ganz ehrlich, wenn ich nach Hause gekommen wäre und mitbekommen hätte, wie jemand meinen Vater umbringt, hätte ich dasselbe getan.
    Das muss ich ihr lassen.
    »Weißt du, was noch komisch ist?«, sagte ich Onkel Alex mit einem seltsamen Lachen.
    »Was, Emily?«
    »Ich begreife jetzt allmählich meinen Vater. Ich habe bisher nie verstanden, warum er ihren Vater umgebracht hat. Aber ich glaube, jetzt verstehe ich es.« Als Onkel Alex nichts erwiderte, redete ich einfach weiter. »Er hat es getan – er hat so vieles getan, so viel Schreckliches, von dem ich nichts weiß –, aber eigentlich wollte er ein besserer Mensch sein. Er hat sich nichts sehnlicher gewünscht, als dass ich auf eine gute Schule gehe und in meinem Leben frei wählen kann. Jetzt bin ich geworden, was er sich von allen Dingen auf der Welt am wenigsten für mich gewünscht hätte.«
    »Was denn, Emily?«
    Ich schloss die Augen. »Ich bin so geworden wie er.«

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    I ch würde ja so gern schreiben, dass wir hier drinnen ohne die ständige Ablenkung durch Internet und Handy eine ganz neue Bewusstseinsstufe erreichen, die uns dazu verhilft, unsere Fehler und Irrtümer einzusehen und insgesamt bessere Menschen zu werden, aber das ist kompletter Quatsch. Wir reden miteinander auch nur Unsinn und belangloses Zeug. Nichts wirklich Wichtiges: Nicht, wer wir sind und was uns hergebracht hat und warum wir getan haben, was wir getan haben. Wahrscheinlich kommt das auch daher, weil wir sowieso schon genug darüber reden müssen, da wollen wir dann wenigstens miteinander unsere Ruhe haben.
    »Wenn ich hier rauskomme, lasse ich mir ein Tattoo machen«, verkündete Naomi heute, als wir unsere Abendzigarette rauchten.
    Ich stöhnte auf. »Warum das denn?«
    Sie ging nicht darauf ein. »Hier.« Sie deutete auf die Innenseite ihres Handgelenks. »Genau hier.«
    »Und was für ein Tattoo?«, fragte Lily, wie immer mit weit aufgerissenen Augen.
    »Doch hoffentlich nicht den Namen deines Freundes.«
    Naomi ging wieder nicht darauf ein. »Einen Vogel, der aus dem Käfig fliegt.«
    Ich verdrehte die Augen.
    »Besser als ein Arschgeweih mit
Hello Kitty
!«, erwiderte sie.
    Ich verschluckte fast meine Zigarette. »Wer lässt sich denn
Hello

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