Von ganzem Herzen Emily (German Edition)
saß ich bereits im Flugzeug.«
»Verstehe.« Sie nickte. »Aber worauf hast du gewartet? Du wolltest sie genauso dringend auftreiben wie dein Onkel, warum hast du es dann nicht gleich getan, nachdem du sie gefunden hattest? Noch am selben Tag?«
Ich schaute sie an. »Was hätte ich Ihrer Meinung nach denn tun sollen?«
»Was hätte dein Vater getan?«
»Ich bin nicht mein Vater«, brach es aus mir heraus, und natürlich schrieb Doktor Gilyard diesen Satz sofort auf.
Dieses verdammte Notizbuch. Irgendwann werde ich es noch mal verbrennen.
»Warum dieses ganze Theater, Emily?« Sie nahm die Brille ab, um mir besser in die Augen schauen zu können. Ich wandte mich ab. »Warum so tun, als wärst du jemand anders? Warum wolltest du unbedingt ihre Freundin werden, warum ihre Pflegeeltern kennenlernen, warum mit ihr aufs selbe College gehen? Was für ein Riesenaufwand, Emily, wozu?«
Dieselbe Auseinandersetzung hatte ich damals auch mit Onkel Alex. Er hat mich für total verrückt erklärt, als ich ihm erzählte, was ich vorhatte. Ich sei wohl nicht richtig im Kopf, ich würde genauso reagieren wie mein Vater, und dadurch würde alles viel komplizierter, als es sein müsste.
»Die Sache ist doch ganz einfach«, sagte er, als ich ihn anrief und um Hilfe bat. »Rein, zustechen, raus. Erledigt. Danny ist bereits auf dem Weg. Ich würde es ja selbst tun, wenn die Polizei mich nicht überwachen würde.«
Ich erinnere mich noch genau an die Panik, die ich damals verspürte. Wie sie mir bis in den Hals hochkroch. Ich spüre sie auch heute wieder, während ich das alles aufschreibe. Wie Milch, die überkocht.
»Nein, nicht!«, rief ich damals. »Ich muss es selbst tun.«
»Du weißt, dass ihr Pflegevater früher bei der Kriminalpolizei war, oder? Das ist kein Zufall, Emily. Er wird dich nicht in ihre Nähe lassen.«
»Ganz genau. Deshalb gibt es nur eine Möglichkeit. Ich muss ihre Freundin werden.«
»Schlag dir das aus dem Kopf, Emily.«
»Aber ich hab bessere Chancen, an sie ranzukommen, als Danny.«
»Jetzt sei nicht kindisch, komm zurück nach Hause und lass mich die Sache regeln.«
»Aber du hast damit nichts zu schaffen, Onkel Alex!«
»Außer dass du mich anrufst, weil du Geld brauchst, eine Wohnung und einen gefälschten Personalausweis und gefälschte Zeugnisse, damit du dich auf demselben College einschreiben und dieselben Kurse belegen kannst wie sie und ihr Freundinnen werdet.«
»Mir kommen die Tränen!«, rief ich in den Hörer. »Bereitet dir das wirklich solche Probleme? Oder hast du keine Zeit dafür, weil du ja Leute erschießen und halb London mit Drogen versorgen musst?«
Ich dachte, er würde mich jetzt genauso anfahren und durchs Telefon zurückschießen, aber er schwieg eine Weile. Dann seufzte er. »Hör zu, Emily. Lass es bleiben. Lass es einfach bleiben.« Und als hätte er mein Kopfschütteln sehen können, fuhr er fort: »Wir müssen vorsichtig sein. Dieses kleine Biest hat der Polizei alles erzählt, was sie aufgeschnappt hat. Sobald die auch nur die kleinste Kleinigkeit gegen mich in der Hand haben, schlagen sie zu.«
»Aber wo ist denn das Problem? Sie glauben doch, dass ich bei dir und Nanna Koll in Spanien bin.«
»Eben. Und so soll es auch bleiben.«
»Die Polizei überwacht nicht mich, Onkel Alex. Sie überwacht dich.«
»Weshalb ich auch nicht nach London kommen kann, um dich zu holen. Sonst wärst du mit mir schon längst wieder auf dem Weg zum Flughafen.«
Was ich lachhaft fand. »Ich bin siebzehn, Onkel. Hör auf, mich wie ein Kind zu behandeln.«
»Dann hör auf, dich wie ein Kind zu benehmen.«
»Du brauchst mich auch gar nicht zu verstehen.«
»Du glaubst, ich versteh dich nicht?«, meinte er barsch. »Diese Juliet Shaw bringt uns nur Unheil. Sie hat meinen Bruder niedergestochen und alles zerstört, was wir uns mühsam aufgebaut haben. Ich möchte sie lieber heute als morgen tot sehen. Aber ich bin nicht so dumm, es selber tun zu wollen.«
»Deswegen verstehst du mich auch nicht.«
»Diese Familie Shaw stürzt uns alle noch ins Unglück. Erst dein Vater und jetzt du.« Er seufzte. »Willst du wirklich in der Hölle landen?« Ich fand, dass er auf einmal erschöpft klang. Was mich aber nicht daran hinderte, zurückzuschlagen.
»Na, dann sehen wir uns dort ja wieder.«
»Versuch nicht, mich zu verarschen, Emily«, sagte er. »Das hier ist kein Spiel für kleine Mädchen.« Ich merkte, wie ich einen roten Kopf bekam. »Ich hab deinen Vater gewarnt. Ich hab ihm
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