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Von ganzem Herzen Emily (German Edition)

Von ganzem Herzen Emily (German Edition)

Titel: Von ganzem Herzen Emily (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanya Byrne
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gesagt, dass er von Jason Shaw die Finger lassen soll. Der Mann war Kriminalkommissar, verdammte Scheiße noch mal. Was hat er denn geglaubt, was da passiert, wenn er ihm einen Besuch abstattet?«
    Onkel Alex benutzte sonst nie Wörter wie »verdammt« oder »Scheiße«, deshalb musste er richtig wütend sein.
    Mein Vater und Onkel Alex und ihre »Regeln«. Sie benutzten in meiner Gegenwart nie unfeine Wörter, brüllten sich nie an, redeten beim Essen immer nur übers Wetter und ähnliche Themen. Ich hatte immer geglaubt, es handle sich dabei um altmodische gute Erziehung, dabei wollten sie nur nicht, dass ich herausfand, wer sie wirklich waren. Nämlich Gangster.
    Diese Mühe brauchte Onkel Alex sich jetzt nicht mehr zu machen.
    Ich schwieg eine Weile, bevor ich dann sagte: »Bitte, Onkel Alex. Ich weiß, dass du es nur gut meinst, aber ich kann nicht anders. Ich muss es einfach tun.«
    Er wollte immer noch nichts davon hören. »Willst du in der Zelle neben deinem Vater enden?«
    »Nein, natürlich nicht.«
    »Dann hör auf mich. Hör auf das, was ich dir jetzt sage: Diese Sache wird dich noch auffressen, wenn du dich nicht rechtzeitig da rausziehst.«
    Daraufhin erwiderte ich nichts mehr, denn genau das war bereits geschehen. Aber das konnte ich ihm doch nicht sagen, oder? Ich konnte ihm doch nicht sagen, dass ich jeden Tag stärker das Gefühl hatte, im Innern wie von Rost zerfressen zu werden, weil ich befürchtete, dass er mich zwingen würde, nach Spanien zurückzukehren, während Juliet in London war, aufs College ging und ihr Leben weiterführte, als wäre nichts geschehen. Als zöge sich nicht durch die ganze Welt – meine Welt – ein scheußlicher großer Riss.
    »Du bist dabei, denselben Fehler zu begehen wie dein Vater«, sagte Onkel Alex. »Hör auf. Verstrick dich nicht weiter in diese Sache. Ich kümmere mich darum, das verspreche ich dir. In ein paar Stunden ist alles geregelt.«
    »Aber das reicht mir nicht, Onkel Alex.«
    »Wie? Es reicht dir nicht, wenn sie tot ist?«
    »Weil ich möchte, dass etwas in ihr zerbricht. Wegen ihr ist in mir jetzt alles kaputt, und ich will, dass sie sich auch so kaputt fühlt.«
    Es war das erste Mal, dass ich es laut aussprach. Wie ein einziger Schrei, tief aus meinem Innern, so fühlte es sich an. Ein Aufschrei aus einem schlammigen, schwarzen Loch. Sogar jetzt noch zittern mir beim Schreiben die Hände. Damals durchfuhr mich eine solche Panik, dass ich laut aufschluchzte. Ich presste die Faust auf den Mund, damit mein Onkel den Schluchzer nicht hörte. Aber ich weiß, dass er ihn hörte. Alex Koll hört alles.
    »Sie hat mir meinen Vater weggenommen«, flüsterte ich.
    »Er ist nicht tot, Emily, er ist im Gefängnis. Er kommt wieder. Du hast ihn irgendwann zurück.«
    Ich wischte mir die Tränen aus den Augen. »Das meine ich nicht.«
    »Was dann?«
    »Es gibt so viele Dinge, über die ich bis jetzt nichts wusste«, stieß ich hervor. »Dinge, über die Dad nicht mit mir geredet hat. Oder nach denen ich mich nicht zu fragen getraut habe, wie zum Beispiel die Geschichte mit Mum. Warum sie auf einmal nicht mehr da war. Aber ich habe ihm vertraut, deshalb hat mir das nichts ausgemacht. Und jetzt? Jetzt –«
    Ich beendete den Satz nicht, weil mich ein neuer Schluchzer schüttelte. Ich schaffte es nicht, den Satz zu Ende zu sprechen. Onkel Alex wartete und wartete, während ich daran dachte, was mein Vater wohl alles für schlimme Taten begangen hatte. Nacht für Nacht lag ich schlaflos da und musste daran denken. Ich hörte Schüsse und sah blutverschmierte Laken.
    »Ich weiß nicht mehr, wer mein Vater ist, Onkel Alex.«
    Ich erinnere mich noch gut an das Schweigen, das darauf folgte. Ein Schweigen, das mir unendlich lang vorkam, während ich darauf wartete, dass Onkel Alex etwas sagte, dass er meinen Vater wie immer verteidigte. Als er es nicht tat, machte es das noch viel schlimmer. Er sagte mir nicht, dass alles wieder gut werden würde, und er bat mich auch nicht, ihm zu vertrauen, wie er es in der Nacht getan hatte, als er mich in St. Jude’s anrief und mir befahl, eine Tasche zu packen. Und ich vertraute ihm, ich packte eine Tasche und wartete im Büro der Internatsleiterin auf ihn, wie er es mir gesagt hatte. Und auch als ich dann hinten in sein Auto stieg und merkte, dass vorne Nanna Koll saß, mit einem Kopftuch über ihren Lockenwicklern und mit ihrem blauen Schminkköfferchen auf dem Schoß, sagte ich nichts, sondern vertraute ihm, obwohl eine

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