Von ganzem Herzen Emily (German Edition)
über die Jungs Bücher schreiben, eines von diesen Mädchen, über die Jungs in ihren Songs singen.
Vielleicht wäre ich das ja auch geworden, aber dann hat Juliet auf meinen Vater eingestochen, und danach konnte ich nicht mehr ich sein. Ich verwandelte mich in jemand anders, in das harte, wütende, unglückliche Mädchen, das etwas sehr Schlimmes getan hat. Etwas so Schlimmes, dass die Menschen jetzt unwillkürlich zurückweichen, wenn ich das Zimmer betrete.
Aber das werden Sie nicht auf Google finden, hätte ich Doktor Gilyard am liebsten ins Gesicht geschleudert. Sie werden nichts über das Mädchen finden, das ich früher war.
Ich hab es nicht gemacht, denn sie würde ja doch nicht kapieren, was ich damit meine. Sie würde nie verstehen, dass wir manchmal Dinge tun, die so groß sind – und so schrecklich –, dass sie zu dem werden, was wir sind. Man tut etwas, und WUMM !, ist alles, was man einmal war, in tausend Stücke zerfetzt.
Du weißt wahrscheinlich, wie es sich anfühlt, sonst wärst du nicht hier, so wie ich.
Ich muss lachen, als ich das jetzt alles schreibe. Ich kenne dich nicht einmal, aber ich habe das Gefühl, dass du mich besser verstehst als alle Menschen, die mir vertraut sind. Denn deshalb sind wir doch hier, wir beide, oder? Weil wir kaputt sind, in tausend Splitter zerbrochen.
[zurück]
S amstag. Kunsttherapie. Wir sollten malen, wie wir uns fühlen. Da hab ich meinen Bogen Papier zusammengeknüllt und damit nach der Kunsttherapeutin geworfen. Deshalb bekomme ich heute für den Rest des Tages keine Zigaretten mehr.
Samstag ist auch Besuchstag, und darum steht bei Naomi ( 17 , Schizophrenie) wieder ihre allwöchentliche Krise an. Ich sitze und schreibe hier im Fernsehzimmer, weil wir nicht genug Pflegerinnen haben. Sie können sich nicht gleichzeitig um Naomis Ausbrüche kümmern und auch noch alle anderen beaufsichtigen, deshalb haben sie uns im Fernsehzimmer zusammengepfercht, um uns wie Zweijährige vor der Glotze ruhig zu stellen. Da bekomme ich fast Lust, in den Flur hinauszustürzen und zu schreien, ich hätte auf all das keine Lust mehr, nur um zu sehen, wie sie darauf reagieren.
Lily, das neue Mädchen ( 16 , Magersucht) lächelt mich die ganze Zeit traurig an, als warte sie darauf, dass ich zu ihr sage: »Es wird alles gut, du wirst schon sehen.« Aber ich lächle nicht zurück. Ich habe auch keine Lust, ihr zu sagen, dass nichts mehr gut wird. Wenn sie das an einem Ort wie diesem hier noch nicht selbst herausgefunden hat, kann ihr sowieso keiner helfen.
Falls du das Ende des Satzes nicht entziffern konntest, dann liegt das daran, dass Naomi gerade irgendwas kaputt gemacht hat – ich hab Glas zersplittern hören – und wir alle erschrocken aufgesprungen sind. Ich sage zwar, alle, aber das stimmt nicht ganz. Val ( 17 , bipolare Störung) hat sich nämlich nicht gerührt. Sie sitzt weiter reglos da und starrt auf den Fernseher. Das ist eben Val. Sobald sie einmal vor der Glotze hockt, kriegt man sie nicht mehr davon weg. Dann reagiert sie auf nichts. Du kannst zu ihr hingehen und ihr eine runterhauen, sie merkt es nicht einmal. Aber wag es, den Fernseher auszumachen, wenn
Deal or No Deal
läuft, und sie zerfleischt dich, Stück für Stück.
Naomi hat jetzt noch etwas zertrümmert. Jedes Mal, wenn ihr Freund sie besucht hat, geht das so. Sie sieht ihn, spürt auf einmal wieder, dass sie Gefühle hat, und glaubt, dass es ihr besser geht. Wenn sie dann wieder ihre Pillen nehmen muss, brüllt sie herum, dass es einem das Herz zerreißt. Deshalb will ich auch nicht, dass mich irgendjemand besuchen kommt. Falls es jemand vorhaben sollte, was aber sowieso nicht der Fall ist: Mein Vater ist im Gefängnis, und meine Mutter … Wo meine Mutter ist, das weiß ich nicht. Aber wo auch immer sie sein mag, an mich denkt sie bestimmt nicht, und deshalb werde ich hier jetzt auch kein Papier mehr an sie verschwenden.
Naomi brüllt gerade: »Mir geht es gut! Ich bin verliebt, ich brauche keine Pillen!« Da dauert es normalerweise nicht mehr lange, bis sie droht, sich umzubringen, und dann geben sie ihr ein Beruhigungsmittel, was eine gute Sache ist, denn es gibt heute zum Abendessen Spaghetti bolognese. Ich tue hier drin ja fast nichts freiwillig, aber bei Spaghetti bolognese bin ich immer die Erste in der Schlange. Da will ich nicht, dass Naomi mir in die Quere kommt.
Einen Moment hab ich mit dem Schreiben aufhören müssen, weil das neue Mädchen zu mir gekommen
Weitere Kostenlose Bücher