Von ganzem Herzen Emily (German Edition)
liegt auf der Intensivstation, hast du das vergessen?«
Juliet ließ die Arme sinken, obwohl sie immer noch aufgebracht war. »Wie könnte ich das vergessen!«
»Warum veranstaltest du dann ausgerechnet jetzt dieses Theater?«
Sie lachte höhnisch auf und deutete auf mich. »Rose benimmt sich wie eine Hure, und dann ist es mein Fehler?«
»Hör auf, sie eine Hure zu nennen«, sagte Sid, und mir wurde dabei das Herz ganz weich.
»Ich wusste, dass du sie verteidigen würdest.« Juliet schüttelte den Kopf, aber ihr Vorwurf kümmerte ihn nicht.
»Ich weiß nicht, was passiert ist, aber man braucht doch nur einen Blick auf Rose zu werfen, um zu kapieren, dass sie vollkommen durcheinander ist. Guck sie dir doch mal an! Sie ist total neben der Spur!«
Juliet musterte mich von oben bis unten. »Wir haben alle unsere Probleme, Sid, aber die meisten von uns kriegen sie in den Griff, ohne sich dabei krank zu saufen.«
Er blickte sie an. »Du meinst, wie meine Mutter?«
Danach herrschte qualvolles Schweigen. Juliet wirkte verkrampft und betroffen.
»Ich will damit ja nur sagen«, fuhr Sid fort, »dass Rose ganz offensichtlich Hilfe braucht. Und es ist mir egal, ob sie sich Mike an den Hals geschmissen hat. Er hätte die Situation ja nicht auszunutzen brauchen, so wie er es getan hat. Mein Gott, sie braucht einfach jemanden, der für sie da ist. Aber was sie echt nicht braucht, ist irgend so ein geiler, pseudocooler Typ, so ein alter Knacker, der sie nur ficken will.«
Da schlug sie ihm so hart ins Gesicht, dass er zurückwankte.
Ich drängte mich zwischen Sid und Juliet. »Geh zurück zu deiner Mutter, Sid. Ich regle das mit Juliet allein.«
Er rührte sich nicht, deshalb schob ich ihn sachte weg. »Geh. Ich schaff das schon.«
Er ging. Ich baute mich so drohend vor Juliet auf, dass sie einen Schritt zurück machte. Sie lehnte jetzt an dem Geländer. »Rühr ihn noch einmal an, und ich schneid dir das Herz raus«, sagte ich. Nie hörte ich mich stärker wie eine Koll an.
Mein Vater wäre stolz auf mich gewesen.
Sie reckte das Kinn vor und schaute mich an, mit wildem, loderndem Blick, und da war sie endlich, Juliet Shaw, nicht mehr Nancy Wells. Juliet Shaw, die auf meinen Vater von hinten mit dem Brotmesser eingestochen und die ganze Welt, in der ich lebte, zum Einsturz gebracht hatte. Und da wusste ich, dass es jetzt so weit war.
Ich war bereit.
»Sei still«, sagte ich, woraufhin sie sofort den Mund öffnete, um etwas zu sagen. Aber ich hob den Finger. »Ich sagte, sei still. Genug. Es reicht. Wir reden später darüber.«
Sie nickte, und ich blickte sie an, blickte sie das erste Mal richtig an. Ich schaute ihr direkt in die Augen. Es war mir egal, was sie in meinen Augen sah, ob sie darin Rose oder Emily erkannte.
Ich wollte, dass sie es sah.
[zurück]
V al hat sich heute Vormittag umgebracht. Nachdem man sie gefunden hatte, mussten wir alle in unsere Zellen und durften nicht heraus, bevor wir mit Doktor Gilyard gesprochen hatten.
Ich hatte ihr nichts zu sagen. Ich meine, natürlich ist so was scheiße, aber Val war echt schlecht drauf. Vielleicht ist es so besser für sie. Keine Ahnung, worüber Doktor Gilyard mit mir reden wollte. Jedenfalls saß sie eine Stunde lang in meiner Zelle. Ich weiß, dass es eine Stunde war, denn die Tür stand offen, und ich hörte mir erst die Ein-Uhr-Nachrichten zu Ende an, bevor ich die Bettdecke wegstieß und mich aufsetzte.
»Val hat sich umgebracht, na und?«, meinte ich achselzuckend. »Kann ich jetzt eine Zigarette haben?«
Doktor Gilyard blickte mich lange an, dann schrieb sie etwas in ihr Notizbuch.
Ich verdrehte die Augen und ging ans Fenster, wo ich durch die Gitterstäbe auf die trübsinnigen Wolkengebirge hinaussah. Es hatte wieder einen Wetterumschwung gegeben. Der Himmel war blassgrau. Die Scheibe strahlte keine Kälte ab. Kein Frost sammelte sich wie Spinnweben in den Ecken, nicht so wie in meinem Herzen.
Ich zuckte noch einmal mit den Achseln. »Vielleicht haben Sie ja das Bedürfnis, mit jemandem zu reden«, meinte ich.
Sie blickte auf. »Warum das, Emily?«
»Weil Sie ihr nicht helfen konnten. Mir können Sie ja auch nicht helfen.«
Doktor Gilyard sah wieder auf ihr Notizbuch, aber diesmal schrieb sie nichts auf. »Warum sagst du das, Emily?«
»Es funktioniert nicht.«
»Was funktioniert nicht, Emily?«
»Das hier. Was auch immer Sie bei mir für eine Methode verfolgen, es funktioniert nicht.«
»Und warum glaubst du, dass es
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