Von Hundert auf Gluecklich - wie ich die Langsamkeit wiederentdeckte
benutzt, um rohes Fleisch kleinzuschneiden, kletterte auf einen Küchenstuhl, setzte die Schneide oben an, |63| stemmte sich mit den Händen auf Griff und Spitze und drückte sie brutal hinunter. Mit lautem Knall fuhr das Messer in das Brett. Schrat wäre beinahe mit der Stirn auf den Küchenschrank aufgeschlagen. Tatsächlich hatte sich ein schmaler Streifen von der Schale gelöst. Jetzt wussten wir, wie es geht. Hier half nur rohe Gewalt. In rascher Folge brachte Schrat die blitzende Schneide zum Einsatz, das Messer sauste herunter, und ganz allmählich schälte sich das Gemüse aus seinem Mantel. Schließlich lag das gelbliche Kürbisfleisch, durchsetzt von daumennagelgroßen, weißlichen Kernen, auf dem Brett. Schrat wischte sich mit dem Handrücken über die Stirn und stieg vom Küchenstuhl herunter.
»Zum Glück hast du den Job übernommen«, sagte ich.
»Tja, der Mann im Haus ersetzt das Kürbismesser«, antwortete er.
Wenig später setzte er mir eine dickflüssige Suppe mit einem Klecks saurer Sahne vor, verziert mit dunkelgrünem Schnittlauch. Sie schmeckte so wunderbar, dass sogar die Kinder sich dafür begeistern ließen. Zurück aus der Schule, stürzten sie sich mit Heißhunger auf die Suppe und aßen alles auf.
Abgesehen von bisweilen auftretenden Schwierigkeiten bei der Zubereitung hatte sich mein Versuch, ein wenig
Slow Food
in unseren Haushalt einziehen zu lassen, bewährt. Selbst die kleinen Äpfel oder harten Birnen, die der Biobauer uns in den nächsten Wochen lieferte, wurden wohlwollend aufgenommen. Ich packte den Kindern einiges von dem Obst mit zu den Schulbroten. Wenn sie nachmittags ihre Brotbüchsen zurückbrachten, war davon nichts mehr übrig. Sogar mit Karotten und Radieschen, |64| gewaschen und in mundgerechte Stücke zerschnitten, feierte ich kleine Erfolge.
In der Zeitung hatte ich gelesen, Kinder würden Gemüse besonders schätzen lernen, wenn sie einen eigenen Garten haben. Eine Möhre direkt aus dem Boden zu ziehen, gleich danach zu verzehren und damit seinen Hunger zu stillen, sei für sie eine so kostbare Erfahrung, dass sie der erdige oder sandige oder auch herb-bittere Geschmack, den Gemüse, Kräuter oder manche Salate bisweilen haben, nicht stören würde. Was Murkel und Mücke angeht, konnte ich das nur bestätigen. Seit sie in dem Garten ihrer Thüringer Großmutter hin und wieder Petersilie, Schnittlauch, Dill oder auch Stachel- und Erdbeeren stibitzen durften, aßen sie Obst und Gemüse ausgesprochen gern.
Ich hatte meine Bewegungsabläufe verlangsamt und meine Ernährung umgestellt. Das Ergebnis konnte sich sehen lassen. Es waren nur winzige Schritte, aber sie trugen dazu bei, dass ich insgesamt ruhiger wurde. Ich konnte das, was ich zu tun hatte, neu genießen und war zufriedener. Das übertrug sich auch auf meine anderen Lebensbereiche. Sogar meine Familie spiegelte mir das. Plötzlich sagte Mücke Sätze wie: »Eins nach dem anderen, Mami.« Oder: »Lass mir bitte Zeit, ich bin noch nicht so weit.« Das war überraschend für mich. Ich hätte nicht gedacht, dass man so schnell etwas ändern kann. Dabei war ich noch längst nicht am Ziel.
|65| 3. VON ACHTZIG AUF SIEBZIG:
TERMINE
Jeder Termin braucht seine Vor- und Nachbereitung, jeder vereinbarten Begegnung gehen Gedanken voraus und folgen neue Verbindlichkeiten und Überlegungen nach. Das braucht viel Zeit. Allein die Stunden oder Minuten, um von einem Ort der Begegnung zum nächsten zu kommen, sind lang. Statt uns Zeit zu nehmen, stricken wir enge Terminpläne und hasten durch den Tag. Ich übe mich im Absagen.
|67| In der dritten Phase meines Selbstversuches rückte mein wöchentlicher Arbeitsplan in den Fokus. Ich nahm mir vor, weniger Termine anzunehmen. Die besondere Herausforderung daran war, dass es sich hierbei nicht nur um berufsbedingte, sondern vor allem auch um private Verabredungen handeln sollte. Wie oft hatte ich schon Einladungen angenommen, war aber dann, wenn der Termin anstand, viel zu erschöpft gewesen, um ihn wahrzunehmen. Gerade bei abendlichen Veranstaltungen wie einem Essen oder einem Empfang war ich dann derart müde, dass ich mir nicht vorstellen konnte, mich oder meine Gastgeber auch nur ansatzweise zu amüsieren. Ich wusste oft nicht einmal, woher ich die Kraft nehmen sollte, überhaupt an den Ort des Geschehens zu gelangen. Aber ich erteile ungern Absagen, insbesondere bei persönlichen Einladungen. Sie klingen immer ein wenig wie eine Ablehnung der Person, die mich zu
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