Von Hundert auf Gluecklich - wie ich die Langsamkeit wiederentdeckte
ihrem Fest gebeten hat. Schließlich sind Einladungen ein Zeichen von Zuwendung und Freundschaft.
Nur, jeder Termin braucht seine Zeit, jede vereinbarte Begegnung entsprechende Vor- und Nachbereitung. Nehmen wir etwas so Banales wie einen Elternabend. Ich habe zwei Kinder, mindestens zwei solche Abende pro Klasse finden im Halbjahr statt, das macht acht Termine dieser Art im Jahr. Da ich in Murkels ersten zwei Schuljahren Elternvertreterin seiner Klasse war, nehme meistens ich an diesen Abenden teil. Schrat übernimmt in der Zeit die Kinderbetreuung. Vorab schon gilt es einige |68| E-Mails zu schreiben, sich mit den anderen Eltern abzustimmen, Telefonate zu führen, Vereinbarungen zu treffen, nicht zuletzt daran zu denken, was an dem Abend alles mitzubringen ist. Dabei geht es um ganz allgemeine Themen und Sorgen, die bei der Gelegenheit anzusprechen wären, oder um konkrete Fragen wie: Was schenken wir den Lehrerinnen zum nächsten Geburtstag? Oder: Wie können sich die Eltern am Sommerfest beteiligen? Auch nach dem Abend fallen wieder Absprachen und später E-Mails und Besorgungen an. Die Vereinbarungen, die getroffen wurden, müssen in die Realität umgesetzt werden.
Dafür plane ich prinzipiell zu wenig Zeit ein. Ich stricke mir – privat wie im Berufsleben – enge Terminpläne und nehme mir meist viel zu viel vor. Im Vorhinein überlege ich mir, ich könnte im Anschluss an den Elternabend noch rasch in eine Bar gehen, in der ein alter Bekannter gerade mit seinem Saxophon auftritt. Ich möchte so gern einmal sehen und hören, wie er spielt. Morgens fällt mir ein, ich könnte dort zusätzlich zwei Freundinnen hinlocken, die ich länger nicht mehr gesehen hatte. Also bestelle ich sie per SMS dorthin. Doch der Termin mit den Lehrerinnen dauert länger als geplant, ich muss nach dem Treffen noch etwas besprechen, und wenn ich endlich in der Bar auftauche, ist es schon furchtbar spät. Ich bin todmüde und meine Freunde stocksauer, weil ich sie habe warten lassen.
Oder es ist ein Montag, und ich werde eingeladen, Mittwochabend in einer Talkshow in Wien aufzutreten. Die Adresse ist gut, und Auftritte im Fernsehen versprechen einen Grad an Publizität, mit dem sich kaum ein anderes Medium messen kann, aber warum kommt die |69| Anfrage so kurzfristig? Es ist Schulzeit, der Termin liegt mitten in der Woche, und ich muss sicherstellen, dass meine Kinder versorgt sind. Außerdem ist der Abgabetermin für mein aktuelles Manuskript nicht mehr weit, und ich käme zwei Tage lang nicht an meinen Schreibtisch.
Oder ich werde zu einer Lesung nach Dresden eingeladen, was eigentlich eine entspannte Angelegenheit ist, denn die Stadt ist mir wohlbekannt und von Berlin aus gut zu erreichen. Ich habe dort jahrelang gewohnt und freue mich auf ein Wiedersehen. Doch anstatt den Aufenthalt zu genießen, gebe ich allen möglichen Freunden Bescheid, dass ich komme, und treffe jede Menge Verabredungen für die anderthalb Tage. Schon vor der Lesung erscheinen viele alte Bekannte in der Buchhandlung, in der die Veranstaltung stattfindet, und wollen sich kurz mit mir unterhalten. Zurück bleibt das Gefühl, wieder einmal mit niemandem vernünftig geredet zu haben und keinem gerecht geworden zu sein. Meine Großmutter nannte das Verpassungsangst.
Wenn zusätzlich ein Datum naht, das alle gleichzeitig unter Druck setzt, wie Weihnachten oder Ostern oder auch nur der Beginn der alljährlichen Sommerferien, wird die Hast nahezu unerträglich. Was lässt sich bis dahin noch erledigen? Was kann ich in die letzten Tage davor alles hineinstopfen? Besonders zahlreich sind die Einladungen, die in dieser Zeit auf uns hereinprasseln. Vor der alljährlichen Sommerpause werden reihenweise Grillfeste veranstaltet, Freunde bitten zum Lampionfest in ihre Schrebergärten oder Wochenendhäuschen. Überall sollen wir bitte unbedingt noch vor den Ferien vorbeikommen. Es ist, als sehe man sich zum letzten Mal. Dabei |70| fallen gerade in dieser Zeit auch tagsüber mehr Termine an als sonst. Die Schule lädt zum Abschlussfest, die Musiklehrer veranstalten ihre jährlichen Sommerkonzerte, der Sportverein gibt eine Sondervorstellung mit anschließendem Umtrunk im Hinterhof.
Ähnlich geht es vor Weihnachten zu. Jahr für Jahr werden wir bis kurz vor Heiligabend derart dringlich und unaufschiebbar zu diversen Adventssingen, Glühwein-Trinken oder Feuerzangenbowlen eingeladen, als ginge danach die Welt unter. Kaum eine Zeit ist so hektisch und ereignisreich wie der
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