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Von Hundert auf Gluecklich - wie ich die Langsamkeit wiederentdeckte

Von Hundert auf Gluecklich - wie ich die Langsamkeit wiederentdeckte

Titel: Von Hundert auf Gluecklich - wie ich die Langsamkeit wiederentdeckte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Graefin von Bruehl
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ach so friedliche Advent. Anstatt die Gelegenheit zu nutzen und im Vorfeld der Ferien schon einmal eine Gangart herunterzuschalten, müssen alle noch einmal voll aufs Gaspedal treten. Es ist, als fahre man auf eine Ampel zu, die gerade auf Gelb umschaltet. Anstatt jedoch langsamer zu fahren, weil die Ampel gleich rot wird, legt jeder noch einen Zahn zu, um nur ja noch über die Kreuzung zu gelangen.
    Derlei Anstrengungen – so nahm ich mir vor – sollten ab sofort generell der Vergangenheit angehören, die Anzahl von Verpflichtungen drastisch reduziert werden. Ich hatte keine konkrete Zahl im Kopf, doch ich stellte bald fest, dass sich dieses Vorhaben besonders schwierig realisieren ließ. Als Freiberuflerin steht man außerordentlich unter Druck, denn man muss alle Termine selbst machen und sich komplett aus eigener Kraft organisieren. Wenn man dabei nicht einen gewissen Schwung entwickelt, kommt man keinen Schritt voran. Ich müsste eigentlich ständig erreichbar sein und schnell auf jede Anfrage reagieren. Wer sein Netzwerk nicht pflegt, nicht unentwegt akquiriert und geschäftliche und vor allem halbgeschäftliche Veranstaltungen wie Lesungen, Gesellschaften, Ausstellungseröffnungen |71| oder Premieren besucht, wer nicht präsent bleibt, wird schnell vergessen. Will ich als Autorin und Journalistin am Ball bleiben, kann fast jeder Termin wichtig sein, der mich mit Menschen aus meiner Branche zusammenbringt. Dabei verwischen die Grenzen zwischen Beruf und Freizeit. Jede kulturelle Veranstaltung könnte mir einen neuen Auftraggeber bringen oder einen wichtigen Kontakt wiederaufleben lassen. Sollte ich bei einer Lesung oder Podiumsdiskussion einmal keine Bekannten treffen, bringt sie mich zumindest inhaltlich weiter. Arbeiten kann ich quasi Tag und Nacht, Feierabend ist ein Fremdwort, und ich weiß nie, wann ich genug getan habe. Mein Pensum ist unüberschaubar.
    Zwar stecke ich nicht in einem Gefüge, das mir Sitzungen oder Konferenzen vorschreibt, ich habe keine Sekretärin, die »meetings« für mich vereinbart oder mir meinen Terminkalender vollstopft, doch dafür muss ich alles allein im Blick behalten. Der Druck kommt in meinem Fall nicht nur von außen, sondern auch von innen. Meine Chefin bin ich selbst. Und wenn ich nicht aufpasse, macht sie mich fertig.
    Ich musste mich also konzentrieren und neu überlegen, auf welche Termine es ankommt und welche unwichtig sind. Dazu gehörte es, Entscheidungen zu fällen, neue Prioritäten zu setzen und einzusehen, dass es wichtige Veranstaltungen gibt, die ich im Einzelnen gar nicht wahrnehmen kann. In einer Stadt wie Berlin passiert nun einmal sehr viel gleichzeitig. Man kann nicht überall mit dabei sein. Manch bedeutendes Event verpasste ich sogar komplett, aber das machte mir nichts. Ich lernte Sätze aussprechen wie: »Vielen Dank für die Einladung. Ich würde gern kommen, aber ich schaffe es gerade zeitlich nicht.«
    |72| Zu den Terminen, die ich neuerdings absagte, gehörten bedeutende Veranstaltungen, wie die Frankfurter Buchmesse, aber auch unbedeutende, wie ein Frisörtermin. Ich hatte in genau der Woche, in der die Messe stattfand, zwei Lesungen, eine in der Nähe von München, die andere in Dresden. Ein Umweg über Frankfurt hätte meinen Zeitplan enorm verdichtet. Ich musste die Messe einfach streichen. Selbst der Gang zum Coiffeur, der in den Augen der meisten Menschen mit Entspannung verbunden ist, kann zur Anstrengung werden, wenn man versucht, ihn zwischen Kleiderwahl, Kofferpacken, Abschiednehmen, Proviantbesorgen und Zugabfahrt zu stopfen. Ich besorgte mir einen Fön mit aufsteckbarer Rundbürste und frisierte mich einfach selbst.
    Das Angenehme war, dass ich für die Absagen sofort belohnt wurde. Sobald ich die Zahl meiner Termine reduziert hatte, ließ der Druck nach. Ich konnte wieder freier atmen. Ich spürte, wie groß der Stress gewesen war, den mir meine dichten Zeitpläne verursacht hatten. Die Vorfreude auf ein Wiedersehen oder ein spannendes Treffen war oft von der Sorge überschattet gewesen, einen Misserfolg zu ernten, weil ich nicht genug Zeit dafür hatte. Sobald ich weniger Verabredungen einplante und mich den einzelnen Begegnungen aufmerksamer widmete, schwanden diese Ängste. Die Aufregung wich einer grundlegenden Zufriedenheit.
    Nur eine Unsicherheit blieb mir in dieser Phase. Ich fürchtete weniger die Reduzierung meiner beruflichen Termine, sondern der privaten. Ausgerechnet den Menschen, die ich für mein Gefühl sowieso viel

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