Von Hundert auf Gluecklich - wie ich die Langsamkeit wiederentdeckte
begeistert.
Ich fühlte mich wie nach einer erfolgreich durchstandenen |187| Fastenkur. Erleichtert war ich und zugleich erstaunt über das Erreichte. Dabei gab es noch weitere Erfolgserlebnisse. Zu Beginn des Versuches hatte ich mir ernsthaft Gedanken darüber gemacht, wie ich die Stunden nutzen könnte, die ich durch Absagen von Terminen und weniger Multitasking gewinnen würde. Inzwischen habe ich gemerkt, dass gar keine Zeit übrigbleibt. Ich hatte meinen Schwerpunkt verlagert, und dadurch hatten sich die Perspektiven gewandelt. Wer stärker auf Lebensqualität setzt, empfindet keinerlei Zwang mehr, überflüssige Zeit zu nutzen. Er genießt die neu eingetretene Ruhe.
Auch die Sorge, mein Mann und die Kinder könnten die Geduld mit mir verlieren, erwies sich als absolut überflüssig. Sie waren einfach dem Druck entwachsen, unter dem ich zuvor noch gestanden hatte. Allein schon auf die gute Laune, die ich neuerdings verbreitete, würde meine Familie nie wieder verzichten wollen.
Ich lernte die Begegnungen mit meinen Kindern neu schätzen. Sie können mich durchaus damit versöhnen, dass ich wieder einmal ein Treffen mit Freunden absagen musste. Wenn man sich in Ruhe den Menschen widmet, die sich sowieso in nächster Nähe befinden, entstehen Gespräche, die ein Wiedersehen mit Altbekannten vorübergehend ersetzen können. Ich sah ein, wie unsinnig es war, ständig hinauszuwollen und unter Leute zu gehen. Das hat Zeit. Irgendwann würden meine Kinder selbst ausgehen – dann würde ich wieder Muße für Feste mit meinen Freunden haben. Ich lernte sogar das Glück genießen, an dem ein oder anderen Ereignis überhaupt nicht teilgenommen zu haben.
Ich verpasste dadurch etwas, zweifelsohne! Sicher bekam |188| ich die eine oder andere Lebensphase mancher meiner Freunde nicht mit, versäumte Dramen oder Glücksmomente, entfremdete mich gar von einigen und fand nicht gleich wieder neue. Jede Lebensphase hatte ihre Vor- und Nachteile. Aber man kann nicht alles gleichzeitig haben, und ich wollte mir um Himmels willen nicht in zehn Jahren sagen müssen: Von meinen Freunden weiß ich fast alles, doch den Kontakt zu meinem Mann und den Kindern habe ich verloren.
Durch meine Trödelei wurden Murkel und Mücke wesentlich selbständiger. Sie lernten allein von der Schule nach Hause zu kommen und bieten neuerdings unverhofft ihre Hilfe im Haushalt an. Mücke überraschte ich, wie sie eines Samstagmorgens ihr Zimmer staubsaugte, und wenn ich das Geschirr spüle, kommt Murkel nun manchmal in die Küche und fragt, ob er mir beim Abtrocknen helfen könne. Die Arbeiten, die innerhalb der Familie anfallen, sind neu verteilt worden.
Verlangsamung bedeutet Einschränkung. Sie bedeutet Verzicht auf manche schöne Begegnung und Erlebnisse, und zwar nicht nur auf Momente, in denen wir nehmen, wie ein Ausflug oder ein Kinobesuch, sondern auch auf solche, in denen wir geben wollen, wie Geburtstage, an denen wir einen langjährigen Freund feiern und beschenken, oder einen Krankenbesuch. Sie verlangt Differenzierung, Auswahl und Entscheidungen, denn dank unserer technischen Möglichkeiten wird uns heute mehr geboten, als wir eigentlich brauchen. Die Zahl der Ereignisse wird dadurch insgesamt reduziert, allein die Intensität der einzelnen Begegnungen erhöht sich. Und das tut uns letztlich gut. Für Wohlbefinden und Ausgeglichenheit brauchen wir nicht eine Vielzahl von Terminen und schon gar |189| nicht den organisatorischen Aufwand und die Hast, die damit verbunden sind, sondern wir brauchen Zugewandtheit und Wahrhaftigkeit.
Daher dient Verlangsamung keineswegs der Optimierung unseres Zeitmanagements oder gar der Simplifizierung unseres Lebens. Es geht nicht darum, überflüssige Dinge beiseitezulassen, dadurch Zeit zu sparen und scheinbar wichtigere Dinge erledigen zu können. Es geht, so hart das klingt, um Verzicht. Nur dann können sich Ausgewogenheit und Ruhe einstellen.
Ich fand endlich wieder Zeit, meine E-Mails zu beantworten, nicht täglich und nicht alle, aber dafür die Nachrichten, die mir wichtig sind, umso ausführlicher. Ich konnte mich sogar schriftlich für ein Abendessen bedanken, für ein Fest oder auch nur ein erfreuliches Wiedersehen nach vielen Jahren. Das hatte ich früher immer schon gern getan, doch ich hatte keine Zeit mehr dafür gefunden. So ein schriftlicher Dank ist wie der Schlussakkord nach einem mächtigen Klavierkonzert, eine Art Nachhall, das Echo auf ein angenehmes Erlebnis. Man hält Rückschau und
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