Von Hundert auf Gluecklich - wie ich die Langsamkeit wiederentdeckte
denkt noch einmal über das Ereignis nach. Das sollte man sich nicht entgehen lassen.
Ich schaffte es auch, endlich meine zahllosen Bücher zu ordnen. Längst waren die Regale zu eng geworden, und ich hatte die Bücher daneben auf den Fußboden gelegt. Kreuz und quer standen oder lagen sie, frei von jeglicher Ordnung, zu gefährlich schwankenden Türmen hoch gestapelt, in meinem Arbeitszimmer herum. Ich kaufte mir zwei neue Regale, stellte sie auf und sortierte die Titel alphabetisch nacheinander in die Fächer. Es war fabelhaft. Früher hatten mir dazu gar nicht unbedingt die Stunden gefehlt, sondern allein die Ruhe. Ich war immer |190| nur an diesen Bücherstapeln vorbeigehastet und hatte, sobald mir das Chaos ins Auge fiel, gedacht, dafür sei jetzt leider gerade gar keine Zeit.
Ich kam auch endlich einmal dazu, alle meine Fotos zu sortieren. Dabei fand ich herrliche, alte Bilder, die ich seit Jahren nicht mehr gesehen hatte. Was für ein Spaß, sie alle wieder einmal anzuschauen und die Erlebnisse und Begegnungen Revue passieren zu lassen, von denen sie erzählten. Und ich hatte Muße, Musik und Hörbücher zu hören, die jahrelang in meinem Schreibtisch herumgelungert hatten. Ich ließ mich von Brigitte Reimann in die Literatenzirkel der DDR einführen und von Rudolf Kronenbitter in die Geschichte Salzburgs, zugegebenermaßen unterwegs im Auto, doch nicht minder begeistert. Seit meine Kinder geboren waren, hatte ich mir derlei nicht mehr gegönnt. Die meisten CDs hatte ich geschenkt bekommen. Sie waren noch nicht einmal ausgepackt gewesen.
Dank meiner Ernährungsumstellung lernte ich Topinambur kennen und Schwarzwurzeln zubereiten, frisch geliefert vom nächstgelegenen Biobauernhof. Sie brachte mir auch eine gewisse Nachdenklichkeit, und ich stellte fest, dass man nach einem Großeinkauf, wenn man die Lebensmittel aus dem Einkaufswagen ins Auto schichtet, viele Waren schon vorsortieren kann. Es ist durchaus sinnvoll, alles, was später in den Kühlschrank kommt, in ein und dieselbe Kiste zu packen. Ich kam auch auf Ideen wie beim Aufhängen der Wäsche die Kleider zu ordnen, erst Mückes Röcke auf der Leine zu befestigen, dann Murkels Hosen und schließlich unsere Erwachsenensachen. Dadurch hatte ich es beim Einräumen in die Schränke nachher leichter. Das sind Kleinigkeiten, ich weiß, doch selbst |191| auf solche minimalen Alltagserleichterungen war ich in meiner früheren Hektik nie gekommen.
Und ich rege mich wesentlich seltener auf. Selbst wenn ein Betrag zu Unrecht von meinem Konto abgebucht wurde oder wieder einmal Werbung in meinem Briefkasten gelandet war, obwohl außen weithin sichtbar steht, dass derlei bei uns nicht erwünscht ist, bleibe ich gelassen. Wenn es indes ein echtes Problem gibt, dann wehre ich mich, und zwar mit Nachdruck. Dann lasse ich nicht locker, in aller Höflichkeit, und siehe da – meinen Wünschen wird entsprochen.
Ich entdeckte sogar einen Ort, wo ich mir die neu gewonnene Ruhe deutlich vor Augen führen kann. Er befindet sich mitten in Berlin. Gleich neben dem Brandenburger Tor betritt man durch einen unscheinbaren Gang und eine Glastür einen Vorraum und schließlich den sogenannten »Raum der Stille«. Er ist nicht groß, bietet Sitzplätze, ein kleines Licht und ein Andachtsbild. Hier herrscht absolute Ruhe. Keiner spricht, keiner lacht. Jeder Schritt wird von einem dicken Teppichboden gedämpft. Der Raum strahlt Frieden und Sicherheit aus.
Die Idee, einen für alle offenen und überkonfessionellen Raum zu schaffen, war schon in den achtziger Jahren geboren worden. Ein Förderkreis erwirkte dann 1994 die Einrichtung dieses Ortes. Seine Mitglieder kümmern sich um den Erhalt. Das Motto der Initiative spiegelt sich in einem Zitat von Dietrich Bonhoeffer: »Es liegt im Stillesein eine wunderbare Macht der Klärung, der Reinigung, der Sammlung auf das Wesentliche.«
Wenn man in diesem Raum sitzt und sich vor Augen hält, dass sich nur wenige Schritte entfernt der Pariser Platz befindet mit seinem Trubel, mit den unendlich vielen |192| Besuchern und Touristen, die sich dort bis spät in die Nacht tummeln, auf dem Schausteller ihre Künste zum Besten geben und Souvenirverkäufer ihre Ware feilbieten, dann kann man die Stille förmlich auf der Haut spüren. Keinerlei Lärm dringt von außen herein. Es ist das pure Glück.
|193| 11. NACHSATZ
Den Hortplatz für Murkel haben wir bekommen.
Die
Märkische Kiste
werden wir beibehalten.
Mücke spielt inzwischen so begeistert
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