Von jetzt auf gleich
Köstliches Rosmarinbrot – das war es, es duftete nach Rosmarin.
Und nachdem ich kurz meine Umgebung abgecheckt hatte, stellte ich fest, dass überall kleine Sträußchen Rosmarin waren. Und eine Nachricht von Cat. Sie schrieb, dass sie sich Todds Schlüssel ausgeliehen hatte und vorbeigekommen war, um das ganze Appartement mit Rosmarin auszulegen, weil das offensichtlich ein ganzheitliches Wundermittel für die Erinnerung war. Außerdem lagen da mehrere Tüten mit Walnüssen und ein Post-it mit dem Vorschlag, immer wenn ich hungrig wurde, ein paar Nüsse zu essen.
Cat war eine wahre Freundin. Ich war unschlüssig, ob ich ihr wie dem Rest der Familie auch Amnesie vorspielen sollte. Ich wollte es ihr erzählen. Ich wollte wirklich. Das Problem war, dass Cat, loyal und aufopfernd, wie sie war, zu ehrlich gewesen wäre, ein Teil dieser Täuschung zu werden. Zu offen. Todd hatte genau die richtige Mischung aus Loyalität und fast schon krimineller Zwielichtigkeit, die man als enger Vertrauter brauchte. Ich hatte ein schlechtes Gewissen, entschied aber, dass es besser wäre, sie nicht in meine kleine Täuschung hineinzuziehen. Außerdem war sie eine Ärztin – es würde wahrscheinlich eine Art hippokratischen Eid verletzen, das Spielchen mitzumachen.
Es war komisch, wieder zu Hause zu sein. Das war alles mein Kram, aber plötzlich wollte ich das meiste davon wegwerfen. Und das nicht, weil ich mich meiner ärmlichen post-studentischen Einrichtung entledigen wollte. Es war mehr so ein Gefühl, dass die Poster, die winzigen
Simpsons
-Radierer, der Delphin-Magnet und die Kerze in Penisform nicht mehr so recht zu mir passten. Obwohl die Amnesie reine Heuchelei meinerseits war, fing ich an, eine Veränderung an mir festzustellen, eine leichte, aber sie war definitiv da. Ungefähr so, als würde man zu fest zugedeckt im Bett liegen und dann plötzlich die Decke wegstoßen und sich frei bewegen.
Ich wollte plötzlich raus aus meinem Appartement. Das neue Ich brauchte ein wenig »Ich«-Zeit – oder vielleicht war es »ihre« Zeit, denn ich war mir noch nicht ganz sicher, mit wem wir es hier zu tun hatten. Ein wenig Zeit, nicht unbedingt um mich zu verwöhnen, sondern um mir zu erlauben, mich auf niemanden außer mich selbst zu konzentrieren. Und, ja, vielleicht würde es ein bisschen Verwöhnen geben, aber nichts Extremes. Einfach ein bisschen gewöhnlichen Frauenkram. Eine Maniküre/Pediküre. Vielleicht ein neuer Haarschnitt. Eine Massage stand auf meiner Wunschliste, aber das war wohl ein bisschen zu maßlos.
Ich wollte auf jeden Fall die Stadt mehr genießen. Ich habe mein ganzes Leben lang im Staat New York gelebt und wohnte nun schon seit Jahren in New York City, aber ich war abgeschieden innerhalb derselben Blocks und bewegte mich zwischen Grenzen, die ich mir durch meine tägliche Routine selber gezogen hatte. Das soll gar nicht zu sehr nach einer Zeile aus einer Kontaktanzeige klingen, aber ich hatte mir wirklich nie die Zeit genommen, die Stadt zu erkunden, und das wollte ich.
Ich ging in den Zoo im Central Park. Aus einem Grund, einem ganz bestimmten Grund: das Vogelhaus. Nicht weil ich Vögel so sehr liebte – und mit Sneevil um mich herum hatte ich von Vögeln mit Sicherheit genug –, sondern weil sie einen kleinen Indoor-Urwald hatten und ich unbedingt endlich hineinwollte. Meine Mutter war mit uns in meiner Kindheit oft in den Zoo gegangen, aber die Vögel waren immer tabu. Sie beklagte sich über die Feuchtigkeit und ihre Haare, und das war’s – Ende der Geschichte, keine Vögel. Und selbst als ich ein Alter erreicht hatte, in dem ich leicht selber hätte hineingehen können, habe ich es nie getan. Das Feuchtigkeitstabu war in meiner Psyche eingeprägt. Das sollte sich ändern. Pronto.
Ich ging hinein … Ich sah die Vögel … Ich erlebte es.
Himmel, war das feucht hier. Ich kam heraus mit feuchtem Gesicht und gekräuselten Haaren. Aber es war mir egal. Es war so befreiend, das zu machen, was ich wollte, wann ich es wollte – Gekräusel hin, Gekräusel her.
Ich konnte sogar genau jetzt die Stirn runzeln, wenn ich wollte – meine Mutter war nirgends zu sehen. Wer konnte mich aufhalten? Ich tat es. Ich runzelte die Stirn. Aber dann runzelte ein Wärter zurück, also ließ ich es wieder sein. Ich sah zu, wie die Tierpfleger die Seelöwen fütterten, und fragte mich, ob diese Tiere wirklich glücklich waren. Jedes Mal hatte ich gemischte Gefühle wegen der ganzen
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