Von jetzt auf gleich
mich auszutricksen. Schließlich war sie so frustriert, dass sie auf mich einschlug.
»Das ist absoluter Blödsinn«, sagte Sam. »Es mag sein, dass ich es jetzt noch nicht beweisen kann, aber sie täuscht es vor!«
»Samantha Daniella – hör sofort damit auf«, sagte meine Mom schließlich, die sich mit ihrer Du-bist-in-Schwierigkeiten-Stimme endlich mal auf meine Seite schlug. »Deine Schwester hat sich für heute Abend genug Beleidigungen angehört. Sie simuliert nicht. Es ist völlig klar, dass sie nicht über all ihre Fähigkeiten verfügt. Diese Situation ist sehr ernst, und die Vollmacht wird es uns erlauben, ihr die richtige Fürsorge zukommen zu lassen.«
»Vollmacht?«, sagten Sam und ich gleichzeitig.
»Ja«, sagte meine Mutter in sachlichem Ton.
»Was genau ist das?«, fragte ich in dem vollen Bewusstsein, dass ich nach außen nicht so ausflippen durfte, wie ich es innerlich tat. Ich durfte nicht panisch werden.
»Es ist ganz einfach, Liebes«, fuhr sie fort. Die Sozialarbeiter und die Krankenhausbelegschaft waren sich einig, dass wir für eine unbestimmte Zeit eine Vollmacht aufsetzen sollten. Es ist das Beste für dich, wenn sich jemand eine Zeit lang um dich kümmert. Und diese Vollmacht tritt in Kraft, wenn du handlungsunfähig bist.«
»Oh ja, sie ist total unfähig«, warf Sam mit einem feinen Lächeln dazwischen.
Das Letzte, was ich wollte, war, die Kontrolle komplett aus der Hand zu geben. Aber meine Zwangslage war klar. Und wurde durch den nächsten Satz meiner Mutter noch verdeutlicht.
»Sam, glaubst du wirklich, Jordan würde die Kontrolle über sich aufgeben, wenn sie nur simulieren würde? Ich habe das Dokument gleich hier«, sagte sie, stand vom Tisch auf und holte die Papiere.
Als sie zurückkam und die Dokumente vor mich legte, empfand ich einen Schmerz in der Magengegend. Ich warf einen Blick darauf, dann auf Walter, auf Sam und wieder auf meine Mom.
»Das macht mir alles einfach Angst«, sagte ich. Innerhalb von ungefähr zwanzig Sekunden spulte ich mein komplettes Gefühlsrepertoire ab: Angst, Ablehnung, Bestürzung, Betroffenheit … Ich war noch nicht einmal beim Buchstaben C angekommen, als Samantha sich in meine Richtung räusperte. Ich schluckte ein paar Mal und versuchte die Papiere zu überfliegen. »Ich möchte nur ein bisschen darin lesen, damit ich verstehe, worum es genau geht.«
»Oh, mach schon, unterschreib es, Jordan«, sagte Sam. »Du kannst dich nicht gut um deine Angelegenheiten kümmern, wenn du dich nicht daran erinnern kannst, wer du bist.«
Dann blickte ich zu meiner Mutter. »Und du warst so wunderbar«, sagte ich zu ihr. »Wieso sollte ich dir nicht vertrauen?« So schlimm würde es schon nicht werden. Schließlich war sie meine Mutter. Also würde sie meine Rechnungen für einige Zeit bezahlen. Das war doch kein schlechter Deal. Ich war ein bisschen skeptisch, weil sie mich einweisen lassen konnte, aber ich nahm an, das war reine Spekulation. Sie würden uns beide an der Tür begrüßen und dann wahrscheinlich sie an meiner Stelle mitnehmen.
Also unterschrieb ich.
14. Es geht aufwärts
Es ist fast unmöglich, sich bei den eigenen Eltern zu erholen. Die meisten Leute sind unendlich gestresst, wenn sie ihre Familie um sich haben. Das war jedenfalls bei mir der Fall. Außerdem kam jedes Mal, wenn ich am Computer saß und über Amnesie nachforschte, jemand herein und erwischte mich dabei. Ich konnte dann immer nur sagen, dass ich »versuchen wollte, zu verstehen, was mit mir passiert«, besonders wenn Sam mir im Nacken saß. Ich brauchte meine Privatsphäre, die im Hause Landau Mangelware war. Deshalb bat ich darum, wieder nach Hause zu können. Ich war sicher, dass sie mich auch loswerden wollten. Ich sollte recht behalten und sie waren einverstanden.
Meine Mom fuhr mich in die Stadt. Während der Fahrt legte ich ein Gesicht von kindlicher Verwunderung auf und gab vor, mein Appartementgebäude nicht zu kennen, als wir dort ankamen. Als wir aus dem Aufzug auf meinen Flur traten, rümpfte meine Mom fast ihre Nase. Es war klar, dass es ihr nicht gefiel, wo ich wohnte. Aber es war auch klar, dass sie nicht hier war, um mir beim Ausziehen zu helfen.
Ich fingerte ungeschickt an meinen Schlüsseln herum und tat so, als wüsste ich nicht, welcher genau meine Tür öffnen würde – dann lächelte ich meine Mom verlegen an. Leider spielte ich meine Unsicherheit einen Tick zu lange, denn Mr Radlerhosen-langer-Schwanz kam aus dem Aufzug und direkt auf
Weitere Kostenlose Bücher