Von jetzt auf gleich
irgendjemanden sonst arbeitete, war Lydia Bradford – die angesehenste Art-Direktorin in dem ganzen Laden. Aber sie war auch dafür bekannt, »pain in campaign« zu bringen. In meiner Arbeitsplatzbeschreibung stand nichts von Schreiben, Korrekturlesen oder Headlines formulieren, Slogans texten oder Anzeigen entwerfen, aber gelegentlich, wenn mir etwas ausgehändigt wurde, hatte ich eine bessere Idee, die ich leise vorschlug, so als würde ich einen Scherz machen. Fast jedes Mal bahnte sich meine kleine Änderung ihren Weg zu den Setzern – und irgendwann einmal zu den Kampagnen.
Lydia liebte es, meinen kreativen Eifer und meine Bereitschaft zur Ausbeutung zu missbrauchen. Und ich hatte nichts dagegen. Besonders zu der Zeit, als Lydia persönliche Probleme hatte und zwei Wochen lang ziemlich oft abwesend war. Sie war zwar da, aber sie war nicht
da
. Also entwickelte ich eine Print- und Mailkampagne für einen Online-Konkurrenten von IKEA und machte von Grund auf alles selbst. Der Kunde liebte es. Die Agentur liebte es. Und die Konsumenten liebten es auch. Kleines Detail: Ich habe nichts dafür bekommen, aber das war okay, weil ich glaubte, es wäre nur eine Frage der Zeit, bis Lydia meine Beiträge anerkennen und mich befördern würde.
Ich mochte es nicht, jeden Abend mit meinen Kollegen auszugehen. Mit den meisten von den Leuten würde ich meine Zeit nicht verbringen, wenn ich nicht dafür bezahlt würde.
Die Agentur hat einen After-Work-Drink-Plan entwickelt, für bestimmte Anlässe. Das Problem war nur, dass mit Monster Mondays, mit Terrible Tuesdays, Wicked Wednesdays, Thirsty Thursdays und Fucked-up Fridays jeder Tag ein Anlass war. Um an der After-Work-Plauderei teilzunehmen, musste man nicht nur völlig frei von jeglichen Sozialkontakten, sondern auch ein Alkoholiker sein. Mein Vertriebskollege Kurt war jeden Abend da, spielte das Spiel mit und machte einen auf Arschkriecher. Manchmal ging ich mit, um mit Kurt mithalten zu können, aber es war jedes Mal furchtbar. Ich bin einfach nicht gut in Smalltalk. Ich hasse es.
Ich hasse After-Work-Smalltalk fast genauso, wie ich es hasse, jeden Montagmorgen von jemandem, dem das völlig egal ist, gefragt zu werden »Wie war dein Wochenende?« Im Aufzug. Oder im Küchenbereich, wenn ich gerade meinen dringend benötigten Kaffee holen will. Oder wenn ich gerade hinter Korrektur gelesenen Kopien herrenne, um sie den Kreativen zurückzugeben, da nur sie entscheiden können, ob etwas in der letzten Minute geändert wird. Aber sicher nicht, bevor ich Wie-war-dein-Wochenende-Harry erzähle, wie mein Wochenende war, nur um zu sehen, wie er glasige Augen bekommt, wenn ich ihm antworte oder schlimmer noch, mitten im Satz weggehe.
Ich war berufstätig, und ich nehme an, dass ich dankbar sein sollte. Aber mein Job fühlte sich an wie eine Falle. Jedes Mal, wenn ich versuchte herauszukommen, wurde ich von einem dämlichen Business-School-Trottel oder einem frustrierten Künstler mit schwarzem Armani-Stehkragenpullover zurückgeschlagen oder von einer Hyäne mit purpurroten Lippen und einer Ponyfrisur, die sich aufregt über eine zu weit links neben der Spalte platzierte feine Linie – um dem neuen graphischen Standard von PowerPlace Gym gerecht zu werden. Und jetzt wird der Kunde die ganze verdammte Passform zunichtemachen, und können wir in diesem verdammten Laden noch nicht einmal eine einfache, verdammte graphische Vorlage bekommen?! (Zitatende).
Wenn man mein Leben betrachtete, konnte man sicher sagen, dass ich eigentlich keinen Grund hatte zu meckern. Das ganze Gerede über Identitätsklau ließ mich völlig kalt. Ich hätte meine freiwillig abgegeben.
Mein Schreibtisch war nicht so übersät mit persönlichen Dingen wie bei den meisten Leuten, denn es war ein so offener Raum, dass ich das Gefühl hatte, alles, was ich zeigte, würde eingehend geprüft und beurteilt. Deshalb waren die einzigen dekorativen Dinge ein Poster von David Hasselhoff, das ironisch gemeint war und der Erheiterung dienen sollte, und ein Bild von Johnny Cash mit erhobenem Stinkefinger, was alle postwochenendlichen Diskussionen oder eigentlich praktisch alle Diskussionen abwehren sollte.
Ich öffnete mein Postfach, das eine Flut von E-Mails von meiner Mom und meinem Dad enthielt. Das war eine permanente Belästigung, die ich mir selbst eingebrockt hatte. Vor einigen Jahren war ich eines Tages – für mich völlig untypisch – beleidigt wegen des unverhohlenen Desinteresses meiner Mutter
Weitere Kostenlose Bücher