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Von Kamen nach Corleone

Von Kamen nach Corleone

Titel: Von Kamen nach Corleone Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reski Petra
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eine lange Pause. »Man hat so seine Schwierigkeiten, darüber zu sprechen. Dass er ... Ich weiß nicht.«
    Ich dachte wieder an den Priester von San Giuseppe Jato, der den tiefen Glauben der Familien Brusca gerühmt hatte. Und das alles ohne jeden Zweifel? Konnte Emanuele Brusca an Gott glauben und sich gleichzeitig zur Mafia bekennen? Ob es nicht einen Moment gab, wo er so etwas wie einen Widerspruch empfand? Oder ist Mord auch nur eine Arbeit, die erledigt werden muss? Kein Vergehen gegen das fünfte Gebot?
    Als er im Hochsicherheitsgefängnis von Asianara in Isolationshaft für Mafiosi eingesessen habe, da habe er unglaublich viele Männer mit Inbrunst beten sehen, sagte Emanuele Brusca. Einer sei sein Zellennachbar gewesen, der etliche Morde begangen hat und zu lebenslänglich verurteilt worden war. Diesen Zellennachbarn habe er gefragt: »Wie schaffst du es bloß, zu beten? Mit dieser Leidenschaft? Bei dem, was du getan hast?« Für ihn sei das unvereinbar. Und der Zellennachbar habe ihm geantwortet, dass es Emanuele nicht zustehe, seinen Glauben zu beurteilen. Er sei bereit, seine Fehler einzugestehen, und vor Gott habe er wahrscheinlich schon bereut, aber er verabscheue es, andere anzuklagen, wie es ein Abtrünniger tun müsse.
    Bis heute, sagte Emanuele Brusca, sei er davon überzeugt, dass man nicht morden und gleichzeitig beten könne. Er fragte sich, ob die Bosse beteten, um einen Vorteil zu erlangen, einen Nutzen, eine Hilfe? Denn auch bei seinem Zellennachbarn habe er die Intensität seines Glaubens spüren können.
    »Ihr Bruder ist der Mörder des Richters Giovanni Falcone und des Richters Rocco Chinnici«, sagte ich. »Er hat den kleinen Giuseppe di Matteo ermordet und insgesamt mehr als hundertfünfzig Morde gestanden.« Es drängte mich, das zu sagen. Obwohl Emanuele Brusca so höflich war und so zurückhaltend. Vielleicht weil er mich auf diese höfliche und zurückhaltende Weise daran erinnerte, wie viele Priester in Sizilien immer noch predigen, dass es nur zähle, vor der göttlichen Justiz zu bereuen. Weil die der irdischen überlegen sei. Priester, die die Macht über die Seelen und das Land nicht aufgeben wollen.
    Bis er nicht wirklich wusste, wie die Dinge sich verhielten, habe er versucht, den Gedanken zu verdrängen, dass einer seiner Brüder persönlich an dem Attentat auf Falcone beteiligt gewesen sei, sagte Emanuele Brusca. Er sei in Haft gewesen, als immer mehr Erkenntnisse über das Attentat auf Falcone durchsickerten. Inständig habe er darum gefleht, dass sein Bruder nicht auch darin verwickelt sein würde. Als er dann die Wahrheit erfuhr, habe er sich wie lebendig begraben gefühlt.
    Wieder machte er eine Pause. Er blickte auf seine Hände. Es sei jetzt natürlich einfach, zu sagen, er hätte dieses oder jenes anders gemacht, sagte er. Aber jeder habe sein Schicksal selbst in der Hand.
    Emanuele Brusca war immer noch im Gefängnis, als er aus dem Fernsehen davon erfuhr, dass sein Bruder Giovanni sich entschlossen hatte, mit der Justiz zusammenzuarbeiten.Es sei für ihn heikel gewesen, sagte Emanuele, weil er zusammen mit den größten Mafiabossen inhaftiert gewesen sei, in Isolationshaft. Er habe Angst gehabt, weil er nicht wusste, wie die Sache mit seinem neuerdings abtrünnigen Bruder für ihn da drinnen ausgehen würde. Wenn er nur angedeutet hätte, dass er die Entscheidung seines Bruders gutgeheißen habe, hätte er im Gefängnis damit sein Todesurteil unterschrieben. Und wenn er es missbilligt hätte, dann wäre das geheuchelt gewesen. Also habe er geweint. Und die anderen inhaftierten Bosse hätten geglaubt, dass er aus Wut weinte, aus Wut gegenüber seinem Bruder Giovanni. Für ihn aber seien es Tränen der Befreiung gewesen: Endlich ist es für uns vorbei.
    Emanuele Brusca hat zwei Söhne, die jetzt erwachsen sind. Als er sich entschloss, als Angehöriger eines Mafiaabtrünnigen in das Zeugenschutzprogramm aufgenommen zu werden, waren seine Söhne noch Kinder. Er habe ihnen gesagt, dass er sich auch ihretwegen zu diesem Leben entschlossen habe. Denn wenn die Familie in San Giuseppe Jato geblieben wäre, hätte ihnen niemand geglaubt, wenn er eines Tages gesagt hätte, dass er nichts mehr mit seinem alten Leben zu tun haben wolle. Wenn die Söhne dort in die Bar gegangen wären, hätte der Barmann sie die Orangina nicht bezahlen lassen, und im Geschäft gegenüber hätte man ihnen nur gesagt, sie sollten sich keine Sorgen machen, es sei alles schon beglichen. Es geschehe

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