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Von Kamen nach Corleone

Von Kamen nach Corleone

Titel: Von Kamen nach Corleone Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reski Petra
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wussten. Vielleicht tröstete Emanuele Brusca sich damit, dass seine Aufgabe lediglich darin bestanden hatte, seinen Vater im Auto zu begleiten. Jeder Mafiaboss hat stets einen Vertrauten, der ihn zu den Treffen mit den anderen Bossen fährt. Oft sind es die Söhne, die ihren Vätern als Chauffeur zur Verfügung stehen müssen, manchmal sind es aufstrebende Mafiosi, Kofferträger.
     
    Er habe seinen Vater auf allen seinen Wegen begleitet, sagte Brusca. Der Vater habe keinen Führerschein gehabt, deshalb habe er ihn fahren und vertrauliche Botengänge für ihn erledigen müssen. Er habe dann auch das Medizinstudium aufgegeben, obwohl er da bereits alle Examen bis zum dritten Jahr in der Tasche hatte. Sein Vater habe deswegen zeitlebens Gewissensbisse gehabt, sagte Emanuele Brusca. In dem Moment spürte ich, wie sehr er noch in seiner alten Welt gefangen war, in der Männer wie sein Vater Herr über Leben und Tod waren, auch über sein Leben. Denn letztlich war er doch nichts anderes als ein Leibeigener der Mafia gewesen. Wenn der Auftrag »Mord« gelautet hätte, hätte er sich nicht entziehen können. Egal ob er riservato war oder nicht.
    »Wenn man aufgenommen wird, heißt es: Du wirst Morde begehen«, sagte Emanuele Brusca. »Das bedeutet: Du stehst der Mafia zur totalen Verfügung.« Was er getan hätte, wenn er tatsächlich jemanden hätte umbringen müssen?
    »Vielleicht nach Amerika gehen, für andere arbeiten?«, sagte Emanuele Brusca. Dann machte er eine Pause, wendete den Blick von mir ab, schaute zum Fenster, dessen Rollläden halb geschlossen waren, und fügte hinzu: »Ich weiß es nicht.«
    Ich fragte mich, wann Emanuele Brusca zum ersten Mal bemerkte, dass sein Vater und seine Brüder Morde begingen. Giovanni Bruscas Fähigkeiten als Killer waren in ganz Sizilien bekannt. Viele Bosse gaben bei ihm Morde in Auftrag, oft kannte Giovanni Brusca seine Opfer gar nicht. Für ihn war das Töten so normal wie für andere, eine Wand anzustreichen. Auch das Beseitigen der Leichname fiel ihm leicht. Anfangs verbrannte er sie, was sieben Stunden dauerte, auf jenem Rost, den Brusca speziell für die Leichenkonstruiert hatte. Aber weil man dafür einen ganzen Laster voller Holz braucht, ging er bald dazu über, die Leichen in Salzsäure aufzulösen. Für eine Leiche brauche man fünfzig Liter Salzsäure und drei Stunden Zeit, erzählte Giovanni Brusca später einem Journalisten. Die Reste wurden in den Fluss Jato geschüttet, der das Trinkwasser nach Palermo führt. Und wenn sich die Bosse aus Palermo mal wieder über die Provinzler aus San Giuseppe Jato lustig machten, dann sagten die nur: »Ein schönes Wasser trinkt ihr da in Palermo!«
    Aber darüber sprach Emanuele Brusca nicht. Er wand sich, verlor sich in Schweigen und sagte schließlich, dass ihm nie jemand gesagt habe: »Ich habe getötet.« Dennoch habe es Zeichen gegeben, aus denen er etwas habe rekonstruieren können, Zufälle vielleicht. Nie habe er einen hundertprozentigen Beweis gehabt, aber natürlich habe er es ahnen können. Wenn einer hinausgeht und dann wiederkommt, dann habe er verstanden, wohl oder übel.
    Das sagte er, und ich fragte mich, woran er gemerkt hatte, dass jemand getötet hatte. An Blutspritzern auf den Schuhen? An einer bestimmten Art zu blicken? Ich dachte an die Aussage seines Bruders Giovanni, der keineswegs ausweichend, sondern mit dem Stolz eines Berufskillers über seine Morde gesprochen hatte, erzählte, dass er, wenn er ein Opfer mit einem dünnen Nylonseil erdrosselt habe, zwei Männer den Todgeweihten an den Armen festgehalten hätten, zwei an den Beinen. Dass der Todeskampf zehn Minuten gedauert habe. Und der Eintritt des Todes dadurch festgestellt worden sei, dass der Ermordete unter sich gelassen habe. Das sei das Zeichen gewesen.
    Emanuele Brusca schaute wieder aus dem Fenster und schwieg. Bis er sagte, dass er in solchen Momenten, wenn er spürte, dass sie getötet hatten, keine Angst gehabt habe.Sondern ganz ruhig gewesen sei. Er habe versucht, den Gedanken an das Töten zu verdrängen. Er habe einfach nicht daran denken wollen, dass es Wirklichkeit war.
    Mit seinem Bruder habe er nie darüber gesprochen. Es habe keine Gelegenheit dazu gegeben. Sie hätten zwei unterschiedliche Leben geführt. Giovanni Brusca handele instinktiv, er sei impulsiv. Er habe aber immer ein gutes Verhältnis zu ihm gehabt, er kenne seinen Bruder als großmütig und großzügig. Und was die anderen Dinge betreffe ... Emanuele Brusca machte

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