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Von Kamen nach Corleone

Von Kamen nach Corleone

Titel: Von Kamen nach Corleone Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reski Petra
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Cholesteringehalt und schwarze Daunenjacken im Sonderangebot kaufen. Als ich endlich den Kassenbon für mein Tramezzino in der Hand halte und es mir gelingt, eine Barrikade von Daunenjackenträgerinnen zu durchbrechen, um mich bis an die Theke vorzukämpfen, bin ich so stolz, als hätte ich den Regenwald durchquert. In italienischenWarteschlangen hat nur derjenige eine Chance, der über die Wachsamkeit eines Dschungeljägers verfügt. Diese Erfahrung habe ich zuerst in venezianischen Bäckereien gemacht, in denen sich selbst hinfällig wirkende venezianische Großmütter als gewiefte Vordränglerinnen erwiesen. Heute weiß ich die Gesten zu lesen: An der Art, wie ein Fuß vorgeschoben wird, wie ein Arm leicht anwinkelt und dem Barmann ein sehnsuchtsvoller Blick zugeworfen wird, ahne ich, wann welche Italienerin die Gegnerinnen nach hinten zurückdrängen will.
    Nach dem Tramezzino und einem Espresso sind es nur noch wenige Kilometer bis nach Santa Maria Capua Vetere. Eine Gegend, die von der Mafia aufgefressen wurde, bis nichts mehr von ihr übrig blieb als ein Höllenpfuhl aus Einkaufszentren, Parkplätzen und nigerianischen Prostituierten, die zwischen umherwehenden Plastikfetzen, Metallgerümpel und Glassplittern auf Freier warten. Betonpfeiler ragen aus dem Nichts heraus, umgeben von Bergen, die aussehen, als hätte man aus ihnen ein Stück herausgebissen. Es sind Marmorsteinbrüche. Deren Anblick mich an eine Szene aus dem Film Gomorrah erinnert, in der von Kindern gesteuerte Laster in den Marmorsteinbrüchen Giftmüll abladen.
    Das Umland von Caserta ist das Land der Casalesi, jenes mächtigen Camorra-Clans aus Casal di Principe, den Roberto Saviano beschrieb, und über den die Mafiareporterin Rosaria Capacchionne seit fast einem Vierteljahrhundert berichtet. Ich bin mit ihr im Gerichtssaal von Santa Maria Capua di Vetere verabredet. Dort wird der Mord an sechs Afrikanern verhandelt, die im September 2008 von einem mit Maschinenpistolen bewaffneten Killerkommando getötet wurden. Angeklagt sind sechs Angehörige des Clans. Rosaria war eine der ersten am Tatort.
    Mit dem Massaker an den Afrikanern wollten die Casalesi ein weiteres Mal beweisen, wer die Kontrolle über diesen Landstrich unweit von Neapel hat. Die Opfer waren unschuldige Afrikaner, die sich in einer Schneiderei befanden, als die Killer kamen. Einige der Opfer arbeiteten in dieser Schneiderei, andere waren zufällig anwesend. Die Afrikaner waren weder in Drogenhandel noch in Prostitution verwickelt. Die Botschaft, welche die Casalesi den in der Gegend lebenden Afrikanern vermitteln wollten, war: Hier geschieht nichts ohne unseren Willen. Entweder mit uns. Oder.
    Als ich an einem verdörrten Acker vorbeifahre, muss ich an die Begegnung mit einer neapolitanischen Contessa denken. Eine Freundin hatte mich zu ihr geschickt, die Contessa würde mir vielleicht etwas Interessantes über Neapel erzählen, hatte sie gesagt, und ich muss zugeben, dass ich widerstrebend zu dem Treffen ging. Ich erwartete, einer jener adeligen Damen zu begegnen, deren Leben im Wesentlichen im Arrangieren der Fotos ihrer Lieben im Silberrahmen besteht.
    Die Contessa Visocchi lebte im obersten Stock eines einstigen Palastes mit Blick auf den Golf von Neapel – der an jenem Nachmittag wie ein Silbertablett dalag, hinter pompejanisch roten Fin-de-Siècle-Villen, Palmenwipfeln und kardinalroten Bougainvilleen. Die Contessa ist eine breitschultrige Dame mit Perlenkette und einem Hang zu ausdrucksstarken Halstüchern. Sie empfing mich freundlich. Ich versank ergeben in einem weichen Sessel und erwartete, dass die Contessa nun starken Espresso servieren lassen und über philippinische Hausboys klagen würde. Vielleicht auch über Probleme bei der Restaurierung von Renaissanceporträts. Nicht aber über vergiftete Milch.
    Die Visocchis hatten einst auf dem familieneignen Gutin Marcianise eine Rinderzucht betrieben – wenige Kilometer von hier, unweit von Casal di Principe, dem Land der Casalesi. Vor ein paar Jahren mussten alle dreitausend Rinder und Kühe notgeschlachtet werden, weil die Dioxinbelastung in der Milch zu hoch war. Die Kadaver seien nach Mailand gebracht worden, wo sie in einer Spezialanlage verbrannt werden mussten.
    »Es war Dioxin aus der Luft«, sagte die Contessa, »nicht Dioxin aus dem Futter.« Wäre es Dioxin aus dem Gras gewesen, hätte sich die Contessa damit trösten können, dass es sich hier um ein ungewöhnlich verseuchtes Stück Erde gehandelt habe, auf

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