Von Kamen nach Corleone
dem ihre Kühe weideten, ein Stück Erde, das man hätte abtragen und entsorgen können, vielleicht. Aber Luft? Wie soll man die Luft entsorgen?
Die Handarbeitslehrerin in meinem Navigationssystem ist überfordert. Sie schweigt. Weshalb ich den Auskünften eines Verkehrspolizisten glauben muss, dessen Wegbeschreibung mich zum Hochsicherheitsgerichtssaal des Gefängnisses führt. Vor dem Eingangstor warten die Ehefrauen der Camorristi darauf, endlich zur Besuchszeit eingelassen zu werden. Es sind Frauen mit Oberarmen von Zehnkämpfern und blauschwarz gefärbten Haaren, Frauen, die mich und den Spider argwöhnisch mustern und neugierig zuhören, als mich ein Gefängnisbeamter belehrt, dass der Prozess gegen die Afrikaner nicht hier im Hochsicherheitsgerichtssaal, sondern im Justizpalast stattfindet.
In Santa Maria Capua del Vetere soll es auch ein römisches Amphitheater geben, das zweitgrößte nach dem Kolosseum in Rom, aber es gelingt mir nicht, es zu entdecken, inmitten all der Baumärkte, wilden Müllkippen mit ausrangierten Kühlschränken, halbverputzten und schon verfallenen Neubauten und Betonburgen mit vergittertenFenstern. Dazwischen steht der antike Hadriansbogen – den ich allerdings erst erkenne, als ich das zweite Mal an ihm vorbeifahre. Man übersieht ihn leicht, weil hier alles verfallen aussieht. Aber vielleicht kann die Zerstörungswut der Casalesi dem Hadriansbogen nichts mehr anhaben, er hat schließlich schon die Langobarden und die Sarazenen überlebt.
Als ich endlich im Justizpalast auftauche, kommt mir Rosaria bereits entgegen, die Verhandlung wurde soeben beendet. Die Mafiareporterin trägt Puffärmel. Und Plateauschuhe, obwohl sie so groß ist, dass sie die Hälfte der hier im Gerichtssaal anwesenden Männer auch barfuß überragt. In ihrer Armbeuge hängt eine lila Handtasche, ihre Fingernägel sind schwarz lackiert, und als Armreifen trägt sie eine Hundekette in Plexiglas gegossen. Als ein Kollege ruft: »Du bist mir heute zu elegant!«, schnauft Rosaria nur kurz und verächtlich. Dann streicht sie den Rock ihres grauen Kostüms glatt.
Rosaria Capacchione ist Gerichtsreporterin der neapolitanischen Tageszeitung Il Mattino , für die sie in der Redaktion von Caserta arbeitet. Sie weiß, wo die Casalesi ihr Geld waschen und dass sie mit Vorliebe Socken von Brioni tragen, im Farbton »Londoner Grau«. Sie weiß, welcher Clan mit wem Allianzen schmiedet, welcher Camorrista mit welchem Politiker befreundet ist und wie Müll zu Gold wird. In ihrem Buch hat Rosaria die Verbrechen der Casalesi wie in einer wissenschaftlichen Habilitation akribisch mit Fußnoten belegt.
Auf dem Flur des Justizpalastes hängt eine Gedächtnistafel für die beiden ermordeten Staatsanwälte Falcone und Borsellino, »zerrissen von der mörderischen Grausamkeit des Jahres 1992«. Daneben steht eine Gruppe von ratlos blickenden Afrikanern. Es sind die Verwandten der ermordetenAfrikaner, die einen Anwalt umringen, der für seine Robe etwas zu klein geraten scheint, er zieht den Saum seiner Robe wie eine Schleppe hinter sich her.
Rosaria führt mich in die Bar des Justizpalastes. An der Theke stehen Journalisten, Staatsanwälte und Anwälte, auf deren Lippen noch ein schwärzlicher Schatten vom letzten Schluck Espresso liegt. Ein Carabiniere flüstert vertraulich mit Rosaria, und erst jetzt fällt mir auf, dass sich eine Frau etwas zu dicht neben sie drängt. Eine Frau, die an ihr klebt wie eine enge, aber etwas penetrante, neugierige Freundin. Sie trägt eine Lederjacke und ein Piercing an der Unterlippe und weicht selbst dann nicht von der Seite, als ein Mafiaanwalt sich zu Rosaria vordrängelt und versucht, ihr etwas ins Ohr zu raunen, was aber misslingt, weil sie da schon weiterläuft, laue Wangenküsse verteilend an jene, die sie nicht schätzt. Bis Redaktionsschluss will sie zwei Artikel über die Angehörigen der Opfer schreiben.
Am Ende des Prozesses »Spartacus«, der die Führungsriege der Casalesi zu lebenslanger Haft verurteilte, kündigten die Camorristi an, die Journalistin für ihre Enthüllungen bezahlen zu lassen. Seitdem wird sie bei jedem Schritt von zwei Polizisten begleitet: Als wir den Justizpalast verlassen, gesellt sich zu der penetranten Freundin ein grauhaariger, durchtrainierter Mann, den ich bis vor wenigen Minuten für einen Journalisten hielt, tatsächlich ist es Rosarias zweiter Leibwächter. Rosaria folgt ihnen zum Parkplatz, wo sie nicht in einen gepanzerten, schwarz
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