Von Kamen nach Corleone
sich in Duisburg bestens aus, und das bereits seit Ende der neunziger Jahre, als sie wegen des Verdachts auf internationalen Rauschgifthandel undMafiazugehörigkeit festgenommen worden waren: Die deutsche Polizei hatte Giuseppe Nirta dabei beobachtet, wie er zu der Duisburger Pizzeria »Calabrisella« gefahren war, die seiner Aussage zufolge seinem Cousin Sebastiano gehört habe.
Von Duisburg, der Hochburg des Clans Pelle-Romeo, fährt man eine halbe Stunde bis nach Kaarst – wo die Killer der gegnerischen Sippe ihre Rache vorbereiteten: die in der italienischen Anklageschrift als »Zelle von Kaarst« bezeichnet wird. Als ich Kaarst wenige Monate zuvor besuchte, schlief die Stadt noch. Die Vorgärten mit den messerscharfen Rasenkanten und üppigem Männertreu zwischen den Petunien, die Klinkerhäuser mit spitzwinkligen, für viel Regen gemachten Dächern, das Geschäft für aerodynamische Fahrradhelme in psychedelischen Farben, die Gaststätte Bollerwagen – alles ruhte. Nichts bewegte sich. Kein Auto, kein Bus, keine Papiertüte. Nichts, außer einer schlaffen Deutschlandfahne, die in einem Vorgarten hing und sich leicht aufblähte, als der Wind in sie fuhr.
Die ehemalige Pizzeria des mutmaßlichen Mafiakillers Giovanni Strangio trug nun den Namen O sole mio und befand sich ziemlich genau in der Mitte zwischen der schlaffen Deutschlandfahne, der Gaststätte Bollerwagen und dem Kosmetikstudio Ladiseba, eine Abkürzung, hinter der sich die verwegene Aufforderung »Lass die Seele baumeln« verbirgt. Der Himmel war blassblau, wie oft am Niederrhein, weshalb das O sole mio wie eine Beschwörungsformel klang. Dies umso mehr, als sich hinter dem verheißungsvollen Namen blanke Tische, kahle Fenster und messerscharf gefaltete Papierservietten verbargen. Weniger italienische Lebensfreude als ein Bahnhofswartesaal. Hinter der Pizzatheke stapelten sich Kartons. Quattro Stagioni zum Mitnehmen.
Die Stadt pflegte so nachdrücklich ihre Sonntagmorgenruhe, dass jede Handlung, die über den Erwerb einer Sonntagszeitung hinausgeht, frevelhaft erschien. Also kaufte ich mir eine Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung in einem kleinen Laden unweit des O sole mio. Und hoffte, mit der Zeitungsverkäuferin ins Gespräch zu kommen. In Kaarst war es niemandem entgangen, dass Giovanni Strangio zusammen mit seinem Schwager Francesco Romeo und der Summe von 560 000 Euro für kleinere Ausgaben in Diemen, einem Vorort von Amsterdam, festgenommen worden war. Und dass ein Düsseldorfer Waffenhändler den mutmaßlichen Killer später vor Gericht in Italien identifiziert hatte. Ich holte tief Luft und hatte den Namen Giovanni Strangio noch nicht ausgesprochen, das Wort Mafia noch nicht in den Mund genommen, da fauchte die Verkäuferin nur: »Ich weiß von nichts.«
Das nur zum Thema Verschwiegenheit, dachte ich. Wäre mir das Gleiche in Sizilien oder Kalabrien oder Kampanien passiert, hätte ich mir jetzt ein paar Notizen über die Omertà gemacht, das von der Mafia verordnete Schweigegebot. Aber doch nicht in Kaarst, zwischen Männertreu, Lass die Seele baumeln und Geschäften für Fahrradhelme.
Als ich vor Strangios einstiger Pizzeria in Kaarst stand, dachte ich an San Luca, den Heimatort der Duisburger Clans. Neben San Luca mutet selbst das mythische Corleone wie ein Luftkurort an. In San Luca gibt es keinen Müllcontainer und kein Verkehrsschild, das nicht von Maschinengewehrsalven durchsiebt wäre. Um ihre Verachtung für den italienischen Staat auszudrücken, schießen die ’Ndranghetisti auf seine sichtbaren Zeichen. Um Ortsfremden die Orientierung unmöglich zu machen, montieren sie Straßenschilder ab – weshalb in San Luca die Straßennamenmit schwarzer Farbe auf den grauen Putz der Häuser gepinselt wurden.
Seit dem sogenannten Karnevalsscherz, als einige jugendliche Mitglieder des Clans Nirta-Strangio im fernen Jahr 1991 einen Boss des gegnerischen Clans Pelle-Romeo mit einem Ei bewarfen, verfolgen sich die beiden Clans aus San Luca mit alttestamentarisch anmutender Rachsucht. Jeder Mord wurde gesühnt, vorzugsweise an Feiertagen, um die Erinnerung daran den Angehörigen wie mit einem glühenden Eisen einzubrennen, 1. Mai, Weihnachten, Mariä Himmelfahrt – eine kühl kalkulierte Spur blutiger Vergeltung, die ihren vorläufigen Höhepunkt im Duisburger Blutbad fand. Und die keinesfalls lediglich die verletzte Ehre einiger Hitzköpfe wieder herstellen, sondern vor allem das kriminelle Prestige der beiden Clans erhärten
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