Von Kamen nach Corleone
der ’Ndrangheta in Deutschland betrieben werden, der BKA-Bericht listet Hunderte auf, allein 61 gehören dem Clan der Pelle-Romeo. Nur neun dem Clan der Nirta-Strangio. Da konnte eine gewisse Missgunst nicht ausbleiben: Hinter dem Duisburger Blutbad, von manchen vorschnell als irrationale Blutrache verklärt, verbirgt sich ein seit Jahrzehnten währender Krieg der beiden Clans aus San Luca um die Vorherrschaft – der nicht nur über den Drogenhandel und den Waffenhandel, sondern auch über das Geschäft in Deutschland ausgetragen wurde. Ein Krieg, der seinen vorläufigen Höhepunkt in jener Mordnacht im August fand.
In dem BKA-Bericht tauchen allein siebzehn Sebastiano Strangios auf, dreizehn Antonio Pelles, dreizehn Domenico Giorgis. Da sie oft nicht nur in demselben Dorf, sondern auch in demselben Jahr geboren wurden, müssen die Fahnder zu Namen, Geburtsorten und Geburtsdaten auch noch die Namen und Geburtsdaten der Mütter abgleichen. Und um die Verwirrung komplett zu machen, tragen manche Clanmitglieder obendrein die Namen des gegnerischen Clans, weil in der Vergangenheit ein Familienzweig auf die andere Seite wechselte.
Nicht nur für Laien stellt sich die ’Ndrangheta so undurchdringlich dar wie die chinesischen Triaden, auch für deutsche Polizisten. Mafiosi, die alle miteinander verwandt, verschwippt und verschwägert sind, verwirren manche deutsche Ermittler so, dass Fehler unterlaufen wie kurz nach dem Blutbad von Duisburg: Da wurde Giovanni Strangio festgenommen, der Bruder des ermordeten Da-Bruno-Wirts Sebastiano Strangio, weil er für den mutmaßlichen Killer des gegnerischen Clans gehalten wurde, für jenen Giovanni Strangio, der im März 2009 in Amsterdam verhaftet werden sollte. Eine Verwechslung. Die aber für die italienischen Ermittler sehr aussagekräftig war – verriet sie ihnen doch, wie wenig vertraut die deutschen Beamten mit der Gedankenwelt der Mafia waren. In der blutsverwandten ’Ndrangheta wäre es undenkbar gewesen, dass zwei Brüder zwei unterschiedlichen, miteinander verfeindeten Clans angehören.
Giovanni Strangio wurde zusammen mit seinem Schwager Francesco Romeo festgenommen – der zum Erstaunen der Beamten passabel Deutsch spricht, das er während seiner Arbeit im Duisburger Restaurant »La Gioconda« gelernt hatte, wo er für Antonio Pelle arbeitete, den jetzigen Betreiber des Duisburger Hotels Landhaus Milser. Pelle ist Autor von Geboren in San Luca, wo er sich 204 Seiten lang dagegen verwahrt, in Sippenhaft genommen zu werden. Und der es schafft, auf den 204 Seiten das Wort ’Ndrangheta kein einziges Mal zu erwähnen. Was nicht nur angesichts der blutrünstigen Geschichte von San Luca ein Kunststück ist, sondern auch im Blick auf die selbst für Kalabrien erstaunlich hohe Dichte von 39 Clans auf 4000 Einwohner: »Die Mutter des Verbrechens« – so nennen die italienischen Ermittler San Luca.
Der BKA-Bericht bestätigt etwas weniger poetisch,dass die Mafiafamilien aus San Luca zu den gefährlichsten Clans der ’Ndrangheta gehören: Sie verfügten über ein enormes Potenzial an Mitgliedern, die für jede Arten von Straftaten in Frage kämen: Ob internationaler Rauschgifthandel, Waffenhandel, Erpressungen, Entführungen, KFZ-Verschiebungen – die Clans von San Luca blicken auf eine lange Berufserfahrung zurück. Um in Deutschland nicht allzu sehr aufzufallen, werden aus San Luca regelmäßig junge, »unverbrauchte« Männer geschickt, die noch keine Vorstrafen haben, aber mit den Bossen blutsverwandt sind.
Gemäß dem BKA-Bericht zogen in den zwei Jahren nach dem Blutbad von Duisburg 65 Männer aus San Luca nach Deutschland, um in Restaurants zu arbeiten, junge Männer ohne Vorstrafen, aber mit engsten Familienbanden: Söhne, Neffen oder jüngere Brüder von Mafiabossen, die bereits wegen Erpressungen, Entführungen, Rauschgift- oder Waffenhandel verurteilt worden waren. Männer, die praktischerweise ihren Wohnsitz auch unter der Adresse eines Restaurants oder einer Eisdiele angaben und die von einem Stützpunkt zum anderen wechselten, von Duisburg nach Weimar, von Weimar nach München, von München nach Erfurt.
Der Clan Pelle-Romeo wird als der in Deutschland mächtigste ’Ndrangheta-Clan angesehen, gefolgt von dem mit ihm verbündeten Clan Farao, der seit Anfang der achtziger Jahre in dem Gebiet Kassel/Melsungen, in Stuttgart, München, Frankfurt und Dortmund herrscht. An dritter Stelle steht der Clan Carelli mit Stützpunkten in Nürnberg, Kempten, Frankfurt,
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