Von Kamen nach Corleone
seien.
Gemäß der Ermittlungsakten der Antimafiastaatsanwaltschaft von Reggio Calabria schien Nirta die Ermittlungen der deutschen Polizei nicht sonderlich zu fürchten: Er habe in Deutschland unweit von Duisburg zwei Wohnungen gemietet, die von der deutschen Polizei nie entdeckt und nach der Festnahme sogar noch gereinigt werden konnten. Die Polizei habe lediglich einen Computer beschlagnahmt, auf dem sie nichts finden könne – außerein paar pornographischen Seiten, die er besucht habe. Die Tat sei von vier und nicht, wie die deutsche Polizei lange Zeit vermutete, von zwei Tätern begangen worden, der vierte Täter sei Francesco Romeo gewesen, der sich allerdings bei der Schießerei selten dämlich angestellt habe, so blöd, dass er ihm nun den Tod wünsche. Er sei mit einem Motorrad geflohen, und dieses Motorrad sei von der deutschen Polizei nie gefunden worden.
Er sei völlig entspannt, sagte Nirta dem sizilianischen Kronzeugen. Man habe ihn nicht mal abhören können, seine Handys habe er nur ein, zwei Mal benutzt und dann irgendwo liegen lassen, oft in einer S-Bahn.
Domenico Pizzata, der »liebe Freund« und laut dem italienischen Haftbefehl Geschäftspartner des mutmaßlichen Killers Giovanni Strangio in Kaarst, Empfänger seines Briefes aus der Haft, sollte fast zwei Jahre nach dem Blutbad von Duisburg den Lesern der Rheinischen Post sein Herz ausschütten. Nachdem Pizzata in erster Instanz freigesprochen war und aus der Untersuchungshaft in Italien entlassen worden war, beklagte er, dass er fünfzehn Monate lang unschuldig im Gefängnis gesessen habe und infolgedessen seinen Sohn nicht aufwachsen sehen konnte. Was ihm das Herz gebrochen habe. Glücklicherweise konnte er auf die Unterstützung seiner deutschen Anwältin zählen, die von einer weiteren Ungerechtigkeit zu berichten wusste: Herr Pizzata habe in Kaarst im Rheinkreis Neuss seit 2002 mit Erfolg eine Pizzeria betrieben, die während seiner Haft natürlich weitervermietet worden sei: seine Einrichtung, die Küche, die Öfen, alles sei weg. Die Anwältin helfe ihrem Klienten dabei, in Deutschland wieder Fuß zu fassen und sein Eigentum zurückzubekommen. Und was Giovanni Strangio betreffe: Der sei ein guter Junge, sagte Domenico Pizzata weiter, immer hilfsbereit.
Was er nicht sagte, war, dass bei der Durchsuchung von Pizzatas Wohnung zwei Schachteln mit 22-Millimeter-Munition gefunden worden waren, etwa zweihundert Stück. Wie auch ein Ausweis für einen Schießstand. Es mag natürlich sein, dass Domenico Pizzata nichts anderes als ein begeisterter Sportschütze ist. Und die Tatsache, dass die kalabrischen Landsmänner untereinander ihre Wohnungsschlüssel ausgetauscht haben sollen, wird ihn sicher auch entlastet haben.
Sein sehnlichster Wunsch jedoch sei, so vertraute Domenico Pizzata der Rheinischen Post an, die beste Pizza von Kaarst zu backen: Pizza Romana, mit Schinken und Champignons.
Inzwischen hat mir der Kellner die Spaghetti alla Norma serviert. Eine Pizza Romana wäre mir jetzt entschieden lieber. Denn die Spaghetti sind offenbar genau wie die Einrichtung des Lokals dem deutschen Geschmack der siebziger Jahre angepasst. Schön weich, wie meine Tante Ruth sagen würde. Keine Spur von Basilikum, frischen Tomaten und Auberginen. Nur eine undefinierbare rote Sauce. Lustlos stochere ich in den Spaghetti herum, bis ich resigniere, die Gabel beiseitelege und einen Espresso bestelle. Als der Kellner bemerkt, dass ich die Spaghetti kaum angerührt habe, blickt er mich vorwurfsvoll an. Und fragt, ob er mir den Rest einpacken soll.
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Die Frauen vom Nebentisch haben es inzwischen geschafft, die Rechnung zu teilen. Eine fährt mit der Zunge über die Lippen, um den letzten Rest Marsala zu schmecken, eine andere leckt noch das Likörglas aus und wirft ihre dunklen Haare mit einer gebieterischen Geste über die Schulter zurück – es sind schwere, mit dem Glätteisen glatt gezogene Haare, so wie es Italienerinnen lieben. Ihre Augenbrauen sind zu perfekten Bogen gezupft. Tuschestriche in einem blassen Madonnengesicht. Himmelskönigin und Schmerzensmutter zugleich. So wie Teresa Strangio, eine der drei Schwestern des mutmaßlichen Killers Giovanni Strangio: Erhobenen Hauptes schritt sie nach der Verhaftung die Treppen des Polizeipräsidiums von Reggio Calabria herab, den Blick in die Ferne gerichtet, eine Mater Dolorosa – gehüllt in eine violette, mit Pelz gesäumte Daunenjacke. Die Handschellen verliehen ihr die Aura einer Märtyrerin. Die
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